Warum ich gar kein Digitaler Nomade sein muss

Als Xavier in L’auberge espagnole in Barcelona ankommt, geht er zum ersten Mal durch die Straßen und fragt sich, wieviele Male er am Ende wohl durch diese Straßen gegangen sein mag. Alles, was ihm jetzt noch fremd vorkommt, wird dann vertraut sein.
Ich kenne dieses Gefühl. Es ist das Gefühl, wenn man irgendwo neu ankommt und weiß, dass man ab jetzt diese neue Ecke der Welt entdecken wird. Noch kennt man hier nichts. Aber bald wird es ein Teil von einem selbst, ein Teil des eigenen Lebens. Ob man will oder nicht. Dieses Gefühl gehört für mich zu den Höhepunkten des Umziehens, des Neubeginns, den ich regelmäßig erlebe.


Mehr als sieben Millionen Menschen sind in Deutschland „atypisch beschäftigt“, arbeiten also befristet oder im Minijob. Ich bin eine davon. Wenn ich auf mein Arbeitsleben zurückschaue, dann habe ich noch nie anders gearbeitet als befristet oder im Minijob. Wenn ich mich unter meinen Freunden und Bekannten umschaue, so ist eigentlich die unbefristete Vollzeitanstellung die „atypische Beschäftigung“. Oder wie es kürzlich bei der Heute Show hieß: Junge Leute kennen sowas ja nur noch aus dem Märchen: „Schneewittchen und die sieben gewerkschaftlich organisierten Kleinwüchsigen mit unbefristeter Vollzeitstelle.“
Und nein, es ist nicht immer schön. Nur befristet angestellt zu sein schafft Unsicherheit. Lange voraus kann ich nicht planen. Ob ich in fünf Jahren noch eine Stelle habe, von der ich mir Reisen außerhalb Europas leisten kann, weiß ich nicht. Ich weiß, dass ich es mir jetzt leisten kann, deshalb muss die Gelegenheit beim Schopf gepackt werden.
Ob ich mir die Wohnung, die ich mir heute miete, in drei Jahren noch leisten kann? Ich weiß ja nicht mal, ob ich dann noch den selben Job habe, wie jetzt. Und wie sieht es mit der Altersvorsorge aus? Ich kann nicht einfach jeden Monat soundsoviel Geld zur Seite legen. Woher weiß ich, ob ich in zwei Jahren noch so viel Geld übrig habe? Habe ich dann überhaupt noch Geld übrig?
Nein, es hilft nichts, diese sogenannten „atypischen Beschäftigungen“ schön zu reden: Sie schaffen Unsicherheit. Und Sicherheit ist doch etwas, wonach wir uns alle irgendwie sehnen. Das ist es doch, was viele Menschen vor allem erstreben – was auch ihr gutes Recht ist, v.a. wenn sie sich gerne niederlassen und eine Familie gründen wollen.

Ich will das nicht. Weder mich niederlassen – derzeit zumindest nicht – und die Familie gründen erst recht nicht. Ich sehe in meinem Umfeld zwei verschiedene Bewegungen: Die, die danach streben, sich niederzulassen und Sicherheit wollen. Und die, die sich fragen, ob das denn schon alles gewesen sein soll – weil sie sich vielleicht „zu früh“ niedergelassen haben.
Unter Reisebloggern hört man es immer wieder, dass sie davon träumen, ein Digitaler Nomade zu werden. Viele Reisefreaks, für die Reisen – wie für mich – ein Lebenselexier ist, wollen ausbrechen, alles hinschmeißen und auf und davon.

Melanies Artikel hat mich kürzlich erst zum Nachdenken gebracht. Sie schreibt darin:

Ich habe mich endlich getraut! Ich habe meinen festen Job gekündigt, in dem ich jetzt über 10 Jahre gearbeitet habe. Über 10 Jahre lang hab ich mich – außer am Wochenende – jeden Tag früh um sechs Uhr aus dem Bett gequält, nur  um pünktlich um sieben mit einem freundlichen Lächeln im Büro zu sitzen.

Ein fester Job, den man über 10 Jahre lang hat? Für viele Menschen klingt das nach dem Sechser im Lotto und sie schütteln wahrscheinlich ungläubig den Kopf, wie man das nur aufgeben kann. Das, wonach andere verzweifelt streben. Melanie betont, dass sie ihren Job gerne gemacht hat, dass sie tolle Kollegen hatte, und doch:

Irgendwann aber kam immer öfter ein ganz bestimmter Gedanke in mir auf. Immer der Gleiche, und den wurde ich dann auch nie mehr los. Nämlich, ob das so schon alles gewesen sein kann. Ob ich die restliche Zeit meines Lebens – oder zumindest bis zur Rente – weiterhin in dieser Routine verbringen will. Einer Routine, die vielleicht Sicherheit bedeutet, aber in der das ganze Leben sich immer gleich wiederholt.

Als ich das las, kam bei mir ein ganz anderer Gedanke auf: Ich bin eigentlich fast dankbar, dass ich mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, weiterhin befristete Jobs zu haben. Routine, die sich das ganze Leben immer gleich wiederholt werde ich kaum haben. Die Zelte abzubrechen und etwas völlig Neues zu wagen, ist so viel leichter, wenn man keinen festen, sicheren Job zu verlieren hat.
Wien habe ich verlassen, nachdem sich mein Traum auf einen unbefristeten Vollzeitjob an meiner bisherigen Arbeitsstelle zerschlagen hat. Für mich brach dabei eine Welt zusammen, als man mir mitteilte, man gäbe den Posten lieber einer anderen Person, Qualifikationen hin oder her. Im Nachhinein bin ich froh. In gewisser Weise zumindest: Ich wäre zwar in Wien gerne noch eine ganze Weile geblieben, ich hätte meine Arbeit dort gerne noch eine ganze Weile ausgeführt, denn ich habe sie geliebt. Aber ich wäre dort sicher nicht alt geworden. Eigentlich war meine Zeit in Wien bereits abgelaufen. Seit 2012 hatte ich immer wieder darüber nachgedacht, der Stadt den Rücken zu kehren. Aber ich hatte es nicht getan – unter anderem, weil mich der Gedanke an die in Aussicht gestellte unbefristete Vollzeitstelle ausharren ließ. Nachdem dieser Traum von Sicherheit zerplatzte, wurde mir klar, dass es eigentlich sonst nicht viel gab, was mich dort noch hielt. Es war Zeit zu gehen.

Was tat er noch hier? Er wartete, er stand unterm Dach des Klosters wie ein unentschlossener Wanderer bei Regen unter irgendeinem Dach oder Baum stehenbleibt, bloß um zu warten, bloß als Gast, bloß aus Angst vor der Unwirtlichkeit der Fremde. (Hesse, Narziss und Goldmund)

Versteht mich nicht falsch: Ich war immer gerne in Wien. Ich liebte Wien und ich liebte die vielen tollen Menschen, die ich dort kennen lernen durfte, mit denen ich wohnen, lernen, arbeiten, reisen und meine Freizeit verbringen durfte. Aber ich fühlte, ich hatte alles gelernt, was ich dort zu lernen hatte. Es war Zeit zu gehen. Und das tat ich.

Wohin es gehen sollte, wusste ich noch nicht und letztendlich verschlug es mich dorthin, wohin ich eigentlich nie wollte: aufs Land. Und nein, wirklich glücklich war ich dort nie. Ich bin einfach ein Stadtmensch, ich brauche Trubel und Menschen und vielfältige Unternehmungen, um glücklich zu sein. Und so wurde ich auch dort nie sesshaft sondern wartete erneut wie ein Wanderer bei Regen unter irgendeinem Dach, um den Moment abzupassen, um weiterzuziehen. Ich wusste, spätestens, wenn meine Arbeit dort erledigt wäre, würde meine Reise weitergehen. Und nun komme ich zu dem Punkt, warum ich das hier überhaupt schreibe: Die Reise geht weiter, viel früher als gedacht – und ausnahmsweise einmal ein Orts- ohne Arbeitswechsel. Das ist eine Neuheit.

Nach zwei Umzügen 2009 und zwei weiteren Umzügen 2014 steht 2015 also erneut ein Umzug an. Und ich komme nicht umhin zu sagen: Ich bin unendlich glücklich darüber. Nicht nur, weil ich endlich wieder in die Stadt komme, sondern aufgrund der Wechsels, aufgrund der puren Neugierde und der Lust am Neuen.
Ich hasse Umzüge, nicht dass hier falsche Ideen aufkommen: Kisten packen, Kisten schleppen, Wohnungen streichen und einrichten – ganz zu schweigen von der Wohnungssuche! – ist mir ein Graus. Umzüge sind mühsam, zeitaufwändig und obendrein schweineteuer.
Aber andererseits liebe ich Umzüge: Ich liebe es, zuerst bei der Wohnungssuche auf der Karte Gegenden auszukundschaften, dann neue Ecken zu entdecken, wo ich noch nie zuvor gewesen bin – und dann am Ende ein neues Fleckchen Erde zu einem Stück Heimat, zu einem Teil von mir und meinem Leben zu machen. Durch Straßen zu gehen und sich zu denken: „Irgendwann wird das alles ganz normal und gewöhnlich für mich sein. Aber noch nicht, noch ist alles neu und aufregend.“

Und das genieße ich und ich möchte nicht darauf verzichten. Vorerst zumindest nicht. Vielleicht irgendwann, aber nicht jetzt. Noch nicht.

Und um noch einmal auf den Titel zurückzukommen: Warum ich kein Digitaler Nomade sein muss? Weil ich in einem atypischen Beschäftigungsverhältnis bin, das mir neben einer ganzen Menge Unsicherheit und auch Zukunftsangst vor allem eines bietet: Die Freiheit, ohne größeres Zaudern die Zelte abzubrechen und etwas neues zu erleben, zu entdecken und zu einem Teil von mir zu machen.

Obendrein liebe ich den Beruf, den ich gelernt habe  – und er ist nun mal nicht als Digitaler Nomade ausübbar. Aber aufgeben möchte ich ihn nicht. Deshalb möchte ich auch gar kein Digitaler Nomade sein. Ich bin lieber einfach nur ein Nomade, ein analoger Nomade sozusagen.

stehendes Wasser wird faul


So, nun kennt ihr also auch die neueste Neuigkeit aus meinem Offline-Leben und ich hoffe, ihr werdet mir verzeihen, wenn ich neben Wohnungssuche und Umzug nicht immer ganz so viel blogge, wie bisher.

Nachdem ich diesen Text geschrieben hatte, öffnete ich meinen Browser und mein Blick fiel auf dieses Zitat auf meiner Facebook-Startseite:

Wherever you go becomes a part of you somehow.                                                         – Anita Desai

0 Gedanken zu “Warum ich gar kein Digitaler Nomade sein muss

  1. was hast du denn gelernt, wenn ich so neugierig fragen darf?
    ich gehöre dann wohl zu der atypischen beschäftigungsgruppe, mit unbefristeter vollzeitstelle. in meinem bekanntenkreis ist es so halb halb – einige arbeiten „klassisch“ vollzeit, andere teilzeit, manche jobben oder sind auf der suche. das ist allerdings letztendlich mittlerweile doch der kleinere teil.
    ich weiß nicht, ob ich das so wollte. ja, einerseits natürilch schön. aber ob das wirklich mein inniger wunsch war oder der meines umfelds ist mir nicht immer ganz klar. ich kann das zelte abbrechen und einfach mal durch die welt ziehen jedoch sehr, sehr gut nachvollziehen. vielleicht tu ich das eines tages noch, wer weiß, was kommt?

    • Man weiß nie was kommt. 🙂 Ich glaube ja auch,d ass ich vielleicht irgendwann irgendwo ankomme und dann dort bleibe. Allerdings wahrscheinlich dann der Umstände wegen, dass sich einfach alles so einspielt, dass ich mich quasi nebenbei niederlasse. Vielleicht kommts auch nicht so. Ich werde es sehen. Bisher bin ich einfach froh, dass ich meiner „atypischen Beschäftigung“ etwas abgewinnen und die Freiheit, die sie mir bietet, genießen kann.

      In meinem Bekanntenkreis sind ein paar Leute Lehrer und verbeamtet. Das ist aber nur eine Handvoll. Die meisten sind auch „atypisch beschäftigt“. Ich bin übrigens Bibliothekarin/ Archivarin.

      • oooh was für ein schöner beruf! das würde mir denke ich auch gefallen. und wer weiß, vielleicht bekommst du ja mal eine digitale bibliothek zu verwalten 🙂
        ich finde es trotzdem super, dass du nicht nur schreibst, dass es ausschließlich gute seiten hat – aber sehr wohl die positiven seiten für dich erkennst. mir geht es ja oft schon so, dass ich das gefühl habe, mich rechtfertigen zu müssen, dass ich einen „normalen“ job habe und nicht befristet und flexibel bin. vielleicht, weil ein teil von mir es gern wäre?
        ich habe festgestellt, dass man das, was man tut, oft eher an ängsten als an wünschen orientiert. aber ich hab noch viel über mich rauszufinden 😉

        ich denke auch, dass in dem fall das sesshaft werden sich einfach aus der situation heraus ergeben wird, wenn es für dich passt. und wenn nicht, dann nicht.

      • Oh Gott, bitte bloß keine Digitale Bib verwalten :-O Ein Graus. Ich bin ja wegen der Bücher Bibliothekarin geworden … (und nach wie vor ist für mich ein Buch ein Objekt und nicht nur Text auf einem Computer!)

        Ja, es wäre gelogen, wenn ich mein herrlich flexibles Leben in den Himmel loben würde. Erstens ist es nicht 100% flexibel, zweitens träume ich auch schon immer wieder mal davon, ein Nest für mich zu bauen (wie Hesse in Wanderung 😀 ) und nicht langfristig Planen zu können IST mindestens unangenehm, meist aber ein Problem.
        Andererseits vermeide ich damit natürlich die immerwährende Routine. Und wie du sagst, die Orientierung an Ängsten…. ich hätte Angst davor, irgendwo „festzustecken“. Einen fixen Job zu kündigen verlangt eine ganz andere Art von Überzeugung, ich hätte Angst, dass ich sie nicht aufbringen könnte.

      • 🙂 ja mir gehts genauso. ich hab zwar aus praktischen gründen trotzdem einen ebookreader, da lese ich aber nur bücher, die mir jetzt nicht sooo sonderlich am herzen liegen.

        ja, du sagst es. ich bin sozusagen in der anderen position. ich mag die vorteile, die sicherheit (soweit es die gibt, man weiß ja trotzdem nie), das planen können. aber manchmal macht es mich total fertig das gefühl zu haben „so rennt es jetzt also die nächsten jahrzehnte“.

        ich hab für mich meinen „frieden“ damit gefunden, dass es jetzt für mich passt. ich verdiene genug geld und kann mir alles leisten, was ich grade so brauche und was mir die sicherheit gibt, sollten kinder beizeiten ein thema werden. wenn nicht, dann bleibt mir ja immer noch zweiter bildungsweg und dahingehend mich dann doch noch wo anders hinzuentwickeln. ich versuche grade, etwas pragmatischer und fatalistischer zu werden.

      • Das Wichtigste ist, dass man das findet, was für einen selbst funktioniert.
        Für andere muss es nicht funktionieren.
        Ich etwa fände die Vorstellung „ach, ich kann ja immer noch, wenns so weit ist“ beängstigend, weil ich mir vorstelle, dass es schrecklich schwierig ist, dann zu sagen: So jetzt alles hinschmeißen, zurück auf Los. Da machts mir mein Job einfacher – der ist einfach irgendwann vorbei 😀

      • gar keine frage. ich bin trotzdem überzeugt, dass die dinge im leben im wahrheit so kommen, wie man sie unterbewusst braucht, auch wenn man bewusst glaubt, dass es gar nicht passt. aus verschiedenen gründen geh ich dem grade auf die spur. und ich bin überzeugt davon, dass das wichtigste ist, mit sich selber in kontakt zu bleiben. alles andere ergibt sich dann 😉

      • man muss nur aufpassen, dass man nicht ZU fest davon überzeugt ist, dass es eh so ist, wies sein soll. Sonst kann man Dinge nämlich auch nie zum Besseren verändern, bleibt vielleicht irgendwo und harrt aus, obwohl einem das nicht gut tut. Wie Du sagst: Man muss mit sich selbst in Kontakt bleiben. Dann spürt man auch, ob das, was man gerade tut, einem gut tut oder nicht.

  2. Sehr schöner Beitrag. Gefällt mir gut. Ich kann dich gut verstehen und den Reiz, die Welt und das Leben immer wieder neu zu entdecken, kenne ich gut. Ich kenne auch das Gefühl der ‚Hummeln im Hintern‘, wenn man spürt, dass Veränderung in der Luft liegt, selbst wenn sie Unannehmlichkeiten mit sich bringt. Jedem Ende liegt eben irgendwo auch ein spannender Anfang inne …
    Und witzig, dieses Gefühl, was du beschreibst, ich kenne es genau: zuerst ist einem alles fremd, es dauert nicht lange, dann entdeckt man erste Vertrautheiten und schon bald verbindet sich an jeder Ecke etwas mit einem … Wenn man sich diese Erfahrung immer wieder vor Augen hält, braucht es kaum Sorgen vor einem Neubeginn. Es wird schon werden. Und wenn nicht: sucht man einen anderen Weg…

    Sicherheit ist ein interessantes Thema. Echte Sicherheit gibt es nicht. Es ist also allenfalls ‚Scheinsicherheit‘.
    Ich kenne aber auch viele Menschen, denen Sicherheit sehr wichtig ist. Im Job, im Leben, wo auch immer. Ist ja auch bis zu einem gewissen Grad verständlich. Der Gedanke an Unsicherheit schürt große (Ur-)Ängste. Viele Menschen nehmen lieber große Unzufriedenheit in Kauf, als Unsicherheit. Doch wie schreibt Hesse so schön: ‚traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen‘ … so pathetisch er auch ist, Recht hat er 😉
    Viel Glück für dich!

    • Ach schön, noch ein Hesse-Freund 😉
      Ich war sehr verblüfft, einige meiner eigenen Gedanken bei ihm wieder zu finden. (Hast du meinen Text zu Hesses „Wanderung“ gelesen?)
      „Kaum hast Du vom letzten Wandern geruht, geht dir die Ferne mit neuer Verlockung nach“ – diese Hummeln im Hintern. Solange ich nicht das Gefühl habe: Hier will ich bleiben, solange werde ich mir wohl denke: Ok, das kenne ich jetzt. Es wäre dann mal an der Zeit weiterzuziehen.
      Und die Sicherheit ist einfach der Gegenpol. Man weiß, was man hat, was man zu erwarten hat, man muss nicht bei Null anfangen. Die Örtlichkeiten, die neue Arbeit sind noch nicht mal das Problem. Aber sozial bei Null zu beginnen kann wirklich mühsam sein. Niemanden kennen, erst mal wieder sich einen Bekanntenkreis aufbauen… das dauert. Diese Sicherheit zu verlassen ist für mich immer schwierig. Und vor dieser Unsicherheit fürchte ich mich auch oft am meisten.

      • Ja, das verstehe ich total.
        Ich wollte das auch gar nicht so kategorisch ausdrücken. 😀 Natürlich gibt es auch hier immer mehrere Seiten und sowohl Positives als auch Negatives. Aber beweglich bleiben bedeutet für mich auch Lebendigkeit. Natürlich wünschen sich die meisten Menschen irgendwie soetwas wie Ankommen. Aber glaube mir, selbst wenn man dachte, man sei angekommen, die ‚Hummeln‘ können immer wieder kommen, warum auch immer. Da geht es ja nicht nur um Ortswechsel oder Reisen. Es geht auch um innere Beweglichkeit.
        Ja, das Soziale ist sicher am schwierigsten. Und dauert am längsten. Das kann ich verstehen, dass dich das fürchtet. Da fühlt man sich ja auch erstmal ziemlich alleine…
        Und am Rande: ich bin gar nicht sooo eine Hesse-Freundin :D, aber ich muss ihm doch immer mal wieder zugestehen, dass er verflixt Recht hat(te) mit manchen seiner Thesen …

  3. Hallo Ilona,

    danke für diesen tollen Beitrag. Diesen ehrlichen Einblick in dein Leben und deine Gefühle. Ich werde geduldig auf die neuen Beiträge warten und freue mich sehr für dich, dass mit München wieder etwas aufregendes kommt, auf das du dich freuen kannst.

    Du sprichst mir teils aus der Seele und oft frage ich mich, was an mir falsch ist, dass ich zwar gerne reise, aber eben nicht in der Welt, sondern Zuhause leben will. Danke!

    Alles Liebe
    Tanja

    • Ich danke Dir für deine lieben Worte! 🙂
      Viele denken, ich hätte Probleme mit meiner Familie oder keine Heimatbindung, weil ich gerne immer wieder woanders lebe. Dabei habe ich eine starke Bindung an meine Heimat und kehre auch immer gerne zurück. Aber zu lange geht das einfach nicht – ich will dann doch wieder woanders hin. 🙂

      Zum Glück sind etliche Beiträge bereits vorgeschrieben und geplant, so dass die Durststrecke wohl erst in einem Monat einsetzen wird 😀

  4. Hallo Ilona,

    Du hast den Artikel veröffentlicht, das ist schön. Du hattest ja Anfang des Monats mit dem Gedanken gespielt.

    Ich hatte in meiner ganzen Berufstätigkeig noch nie einen befristeten Vertrag. Es ist zum einen durchaus schön, wenn man frei sein kann und einfach weiterziehen kann. Aber es gäbe mir ein unsicheres Gefühl.

    Von der Welt habe ich schon ein bisschen gesehen, aber wirklich nur als Reisende.

    Liebe Grüße, Bee

    • Hallo Bee, danke für deinen Kommentar. Und schön, dass Du dich daran erinnerst 😀 Der Artikel hat jetzt aber noch einen anderen Beigeschmack bekommen, eben nur nicht, warum ich kein Digitaler Nomade sein möchte, sondern v.a. warum ich nicht das Gefühl habe, aus immerwährender Routine ausbrechen zu müssen.
      Der Unterschied zu einem Digitalen Nomaden ist auf jedenfall, dass mein Bereich beschränkter ist – auf Bali werde ich kaum einmal sitzen und arbeiten 😉

  5. Habe Deinen aktuellen Artikel gleich gelesen, komme aber erst jetzt zum Kommentieren, weil mein unbefristeter Job, den ich seit 22 Jahren ausübe, es nicht früher zuließ 🙂 Deine Zeilen haben mich in mehrfacher Hinsicht angeregt. Einen sicheren Job zu haben, hatte zu Beginn meiner Berufstätigkeit Anfang der 90er Jahre einen sehr hohen Wert. Gott sei Dank war meine berufliche Tätigkeit durch unterschiedliche Projekte immer sehr abwechslungsreich. Ich bin kein digitaler Nomade, weil ich einen festen Wohnsitz habe, aber ich habe über viele Jahre mobil und grenzüberschreitend gearbeitet. Und dennoch habe ich meine Geburtsstadt nie verlassen. Und zu meinem Job gehörte es langezeit gegen prekäre Beschäftigung und Arbeitslosigkeit zu kämpfen für Menschen, die am Rande der Armutsgrenze leben. Trotz alldem verstehe ich Dich gut. Oder gerade deswegen. Freiheit, Aufbrüche und Neustart waren für mich auch immer aufregend. Ich wünsche Dir ganz viele tolle Erfahrungen bei diesem Schritt!! Und danke für den tollen und offenen Artikel, weil er so super zum Nachdenken anregt!

    • Danke, dass Du deine Überlegungen mit uns geteilt hast! 🙂
      Ja, wie gesagt: prekäre Beschäftigungsverhältnisse sind eben genau das – prekär. Dass ich ihnen zumindest etwas abgewinnen kann, ist sicher eine Ausnahme. Die meisten Menschen finden es nicht sehr positiv, mehrfach umziehen zu müssen. Sie wollen sich niederlassen, ein Häuschen bauen, eine Familie gründen und vorausplanen können.
      Das sehe ich schon an den Reaktionen, wenn ich Leuten erzähle, dass ich umziehen werde. Die meisten reagieren geschockt und bedauern mich. Hier am Land natürlich sowieso. Da sind die Menschen noch um einiges sesshafter, als in der Stadt.
      „atypisch“ beschäftigt sein, heißt ja auch nicht immer, am Rande der Armutsgrenze leben. Es kann auch nur heißen: Ich weiß nicht, ob ich nicht in drei Jahren vielleicht am Rande der Armutsgrenze lebe – derzeit gehts mir gut.

  6. Pingback: Glückssuche: 9 to 5 leben oder den Job kündigen und ab in die Welt? - Reiseaufnahmen

  7. „Des einen Nahrung ist des anderen Gift“
    – Lucretius

    Menschen wie ich, finden Sicherheit und Routine ermüdend und tödlich für den Geist.
    Menschen wie Du sehnen sich nach Sicherheit und Routine.

    So lange niemand dem Anderen etwas vorschreibt ist alles im grünen Bereich 😉

    • Menschen wie ich sehnen sich nach Sicherheit und Routine? Ich bin nicht sicher, ob Du meinen Text wirklich verstanden hast…

      Ich fasse die Aussage noch mal zusammen: Es geht darum, warum ich gar kein digitaler Nomade sein MUSS – weil ich eben eh in eher unsicheren (!), „atypischen“ Beschäftigungsverhältnissen stehe, die mir viel Freiheit bieten und mich eben nicht für mein ganzes Leben „bis zur Rente“ in einem Arbeitskorsett gefangen halten.

      obendrein klingt dein Kommentar doch ein wenig so, als hättest du rausgelesen, ich würde eine sichere Arbeit (die ich nicht habe, ich betone das noch mal) für die bessere Variante halten. das ist eben nicht der Fall – ich wäre für solche Ausbrüche durchaus sehr sehr anfällig, wenn ich in einer unbefristeten Stelle stecken würde.

      Ich zitiere mich noch mal 😉

      „Als ich das las, kam bei mir ein ganz anderer Gedanke auf: Ich bin eigentlich fast dankbar, dass ich mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, weiterhin befristete Jobs zu haben. Routine, die sich das ganze Leben immer gleich wiederholt werde ich kaum haben. Die Zelte abzubrechen und etwas völlig Neues zu wagen, ist so viel leichter, wenn man keinen festen, sicheren Job zu verlieren hat.“

      • Oh, na da hast du ihn wirklich falsch verstanden – ich befand mich ja eben noch NIE in meinem Leben in einer Festanstellung! 😉

      • lach, ich war nur etwas verwirrt! Dachte mir: „Hat er den falschen Artikel kommentiert?“ 😀

        Mein derzeitiger Vertrag läuft auf 10 Jahre – ich hab jetzt schon etwas Panik :-O

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