#3. Normannischen Boden unter den Rädern – Ankunft in Rouen

Mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel, Teil 3
Die bisher erschienen Artikel über unsere Normandie-Reise:

#1 Mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel. 716 km durch die Normandie
#2 Der Weg ist das Ziel – oder so


Rouen! Endlich! Nun haben wir also tatsächlich normannischen Boden unter unseren Füßen – und Rädern. Zwei Nächte wollen wir hier in der eigentlichen normannischen Hauptstadt bleiben. Und immer wieder werden wir in dieser Zeit kurz innehalten, uns breitgrinsend ansehen und kaum glauben können, dass wir jetzt wirklich da sind. In – der – Normandie! Nach zehn Jahren Planung und vielen Stunden mühsamer Anreise.

Blick auf St. Ouen in Rouen

Mehr Fotos aus Rouen findet ihr hier. (Weiterleitung zu flickr)

Mit Fahrrad, Flugzeug und Eisenbahn: Die Freuden der Anreise

Nein, der Flug war gar nicht so tragisch.

Zum Flughafen fuhr mich eine Freundin, am Münchner Flughafen selbst waren alle schrecklich freundlich und hilfsbereit. Ein Herr trug mir sogar mein zum Bündel verschnürtes Gepäck zum Check-in Schalter, damit ich – die ich das Fahrrad schob – nicht zwei Mal zu gehen brauchte.
Ein bisschen bange blickte ich dem Mann vom Sperrgepäckschalter dann doch nach, als er mit meinem Rad um eine Ecke verschwand.Aber als ich in Paris ankam und einen Blick aus dem Fenster auf das Flugzeug warf, sah ich einen großen Mann auf meinem für ihn viel zu kleinen Fahrrad vergnügte Runden unter dem Bauch des Fliegers drehen. Ich lachte laut auf bei diesem Anblick. Immerhin fuhr es noch!

Sabine war schnell gefunden, denn die Gepäckausgabe ihres aus Frankfurt/Main kommenden Fluges war direkt neben der des meinen. Woher wir unsere Räder kriegen sollten war uns nicht klar. Ich sprach ein paar Herren, deren Namensschilder sie als Mitarbeiter des Flughafens auswiesen, auf englisch an. Sie schauten mich bloß mit großen Augen an. Na, das ging ja gut los… wo war mein Schulfranzösisch, wenn man es brauchte? „ähhhh, …. vélos????“ „Aaaaahhhh! Vélos!“, strahlten sie mich an, redeten breit grinsend auf Französisch auf mich ein und schon schob ein weiterer Mann auf einem Wagen unsere Räder durch eine Tür. Alles bestens. Die Räder waren heil, das Gepäck vollständig – auf nach Rouen.

in Rouen

Nun begann der schwierige Part der Anreise. Zuallererst mussten wir uns mit den öffentlichen Verkehrsmitteln durch Paris kämpfen, zum Bahnhof St. Lazare – mit einmal umsteigen am Gare du Nord. Der erste Aufzug  war gleich kaputt und der ach so hilfsbereite Herr, der uns beim Tragen des Gepäcks die Treppen hinab half, wollte dafür natürlich auch gleich einen Obulus.
Aufzüge führen in der Pariser U-Bahn selten von ganz unten nach ganz ober, sondern reichen immer nur über eine Etage, so dass man stehts auf der Suche nach dem Anschluss-Aufzug war, in den – natürlich – immer nur ein Rad passte. Und das auch nur gerade mal so.

Die ganze Fahrt durch Paris war entsetzlich langwierig und ohne die Möglichkeit, noch etwas zu essen erstehen zu können, erreichten wir gerade noch den Zug nach Rouen. Am Freitag Nachmittag vor dem verlängerten Pfingstwochenende waren wir natürlich nicht die einzigen, die die Idee hatten, aus der Stadt herauszufahren. Als wir unsere schwer bepackten Räder in den völlig überfüllten Zug quetschten, machten wir uns nicht allzu viele französische Freunde.

Beim Aussteigen in Rouen verhakte sich dann auch noch Sabines Kette so hartnäckig, dass der Kettenschutz dran glauben musste, als ich sie wieder löste. Abgesehen von meinem Fahrradständer, der in den kommenden Tagen unter der Last des Rades nachzugeben begann, war dies allerdings unsere einzige „Fahrradpanne“ auf der gesamten Tour! In Rouen brauchte man übrigens nur eine einzige Fahrt in einem für 10 bepackte Räder ausgelegten Aufzug, um auf Straßenniveau zu kommen.

Und von da an war alles ganz wunderbar.

Bienvenue à Rouen

Drei Dinge fallen uns sofort in Rouen auf:

Das erste sind die französischen Essgewohnheiten

Die Essgewohnheiten, mit denen wir – besonders ich – uns eine ganze Weile herumschlagen werden, bis sie uns schleichend und unbemerkt in Fleisch und Blut übergehen. Frisch geduscht und sauber ziehen wir gegen 17 Uhr los, um endlich etwas zu essen zu kriegen. Gar nicht so einfach, denn so früh isst man in Frankreich einfach nicht. Süße Crêpes hätten wir haben können, alles andere gab es erst ab 19 Uhr. NEUNZEHN UHR??? Bis dahin bin ich verhungert! Ich brauche – UM HIMMELS WILLEN! – jetzt gleich etwas zu essen. Und zwar etwas RICHTIGES!

Zum Glück ist Rouen eine Stadt, in der sich doch auch etliche Touristen tummeln und so finden wir ein Lokal in dem man zu einer Unzeit wie kurz vor sechs etwas serviert.
Omelette, Crêpe, Galette… mögen die Fressorgien flacher Pfannengerichte beginnen. Nach einer Weile werden wir erst mal genug davon haben. Aber gut ist es trotzdem. Auf irgendeinem Crêpe wird es mal eine Mischung aller normannischen Käsesorten geben. Und auch davon sollten wir nach einer Weile genug haben.
Aber auch hier lässt sich nicht leugnen, dass der Käse nicht von schlechten Eltern ist (Die Käsefreunde unter meinen Lesern seien auf einen späteren Artikel vertröstet, der sich ausführlicher mit der Route des fromages befassen soll). Nun gut, den ersten Kulturschock haben wir also überstanden: Das vergessene Wissen darum, dass Franzosen später essen als Deutsche. Und gerne mehr. Lang. Bis in die Abendstunden hinein. Mehrere Gänge. Mein armer Magen ist doch ein Gewohnheitstier!

Das Zweite, was uns ins Auge sprang, war das normannische Fachwerk.

Das lag nicht nur daran, dass unser zwischen Bahnhof und Altstadt gelegenes Chambre d’hôtes „La Boulangerie“ eines dieser Fachwerkhäuser war, sondern v.a. daran, dass die gesamte Innenstadt von Rouen dieses herrliche Fachwerk aufwies. Viele Häuser davon stehen leer – auch etwas, was uns in der gesamten Normandie auffallen würde. Sollte jemand den Wunsch nach einem Häuschen in Frankreich verspüren, braucht er bloß durch die Normandie fahren und kann sich eines aussuchen.
Die ganze Reise über fragten wir uns, ob es um die wirtschaftliche Situation der Normandie wirklich so schlecht bestellt ist, und nehmen uns vor, das zu hause zu recherchieren – ein Vorhaben, das seither im Umzugsstress und Alltagstrott stecken geblieben ist.

Jedenfalls verleihen die ganzen Straßenzüge mit verwinkelten und schiefen Fachwerkhäusern der Innenstadt ein sehr pittoreskes Aussehen und bieten herrliche Fotomotive.

Das dritte Auffallende sind in Rouen ganz klar die Kirchen.

Drei großartige gotische Kirchen gibt es: die – vergleichsweise! – eher wuchtige, massige Kirche der ehemaligen Benediktinerabtei St. Ouen.


Die filigraner und verspielter wirkende Kirche St. Maclou mit einer auffallenden gewölbten Fassade.


Und den Dom, dessen Turm mit 152m zu den höchsten Kirchtürmen in Frankreichgehört und der einen mit dem unglaublich detailreichen Zuckerbäckerwerk der Fassade fast erschlägt.

Das Who is Who der Normandie

Das Grab von Richard Löwenherz im Dom von Rouen

Historisch gesehen ist Rouen DIE Hauptstadt der Normandie, heute lediglich die Hauptstadt der Haute Normandie, dem Teil der Normandie, von dem wir leider recht wenig zu Gesicht bekommen werden. Im Dom von Rouen liegt Rollo begraben, jener erster Herzog der Normandie, der das Christentum angenommen hat und dafür vom französischen König anerkannt wurde. Also sozusagen derjenige, der den Schritt vom wilden Wikinger zum anerkannten Lehensnehmer gegangen ist.

Ebenso liegt hier der uns allen aus den Robin Hood Legenden bekannte Richard Löwenherz begraben, der eben nicht nur König von England, sondern – als Nachfolger Wilhelms des Eroberers – auch Herzog der Normandie war. Keine Sorge, auf Wilhelm den Eroberer werde ich in späteren Artikeln noch ausführlich zu sprechen kommen.

Mit dem Namen einer weiteren berühmten Person schmückt sich die Stadt. Dass diese Person sich alles andere als frewillig hier aufgehalten hat, ist dabei nebensächlich: Es handelt sich um Jeanne d’Arc – in Deutschland besser bekannt als Johanna von Orléans – die neben dem Heiligen Erzengel Michael die zweite Nationalheilige Frankreichs ist.

Im frühen 15. Jahrhundert, zur Zeit des Hundertjährigen Krieges, betrat dieses ungebildete Bauernmädchen aus Lothringen die Bühne der Weltgeschichte. Die Heiligen Michael, Katharina und Margarethe hätten ihr den Auftrag gegeben, die Engländer aus Frankreich zu vertreiben und den Dauphin – den französischen Thronfolger – zur Krönung nach Reims zu führen. Der traditionelle Krönungsort der französischen Könige stand damals unter englischer Herrschaft.
Man schenkte ihr Glauben und Jeanne führte die bis dahin erfolglosen Franzosen von Sieg zu Sieg, bis sie in englische Gefangenschaft geriet. Sie wurde in Rouen inhaftiert und wegen Ketzerei und Hexerei angeklagt und verurteilt. Damit beseitigte man nicht nur einen militärischen Gegner, sondern machte die Hoffnungsträgerin und den frischgekrönten König von Frankreich unglaubwürdig.
Am 30. Mai 1431 wurde Johanna in Rouen auf dem Place du Vieux-Marché lebendig verbrannt. Ihre Niederlage konnten die Engländer damit aber nicht mehr aufhalten. 1453 waren sie endgültig besiegt.

Jeanne wurde bald darauf – 1455 – rehabilitiert, aber erst 1920 heiliggesprochen. Seit 1979 steht am Ort ihrer Hinrichtung die Kirche Jeanne d’Arc.
„Der futuristische Bau mit Renaissance-Fenstern aus der zerstörten St. Vincent-Kirche wirkt wie eine Sprungschanze in die Seligkeit.“, schreibt mein Reiseführer dazu.
Naja, eher wirkt diese futuristische Kirche mit den integrierten Markthallen (!!!) auf mich wie ein vollkommen nach hinten losgegangener Versuch, ansprechende moderne Architektur zu schaffen. Als wir am Place du Vieux-Marché zu Mittag essen, muss ich mich mit dem Rücken zu diesem missglückten Konstrukt setzen. In meiner Jugend war Jeanne d’Arc eine der Frauen, die ich besonders bewundert habe. DAS hat sie wahrlich nicht verdient.

Die Kirche Jeanne d’Arc

Unterkunft in „La Boulangerie“

Unser Chambre d’hôtes „La Boulangerie“ liegt in der Rue Nicaise, nur wenige Gehminuten von der Abbatiale Saint-Ouen entfernt.
Aminata, die Betreiberin, spricht dankenswerterweise englisch, was uns die Ankunft in der Normandie durchaus erleichterte. Das Frühstück ist für französische Verhältnisse überraschend üppig – und gut!
Wer hier übernachten will, braucht aber gute Beinmuskeln, denn die Treppe zu den Zimmern ist verwinkelt und so steil, dass sie manchmal beinahme wie eine Leiter erklommen werden muss – mit Händen und Füßen.
Außerdem sollte man sich nicht vor seinem Zimmerkollegen genieren, denn die Dusche steht im Zimmer – durch einen nicht wirklich blickdickten Vorhang abgetrennt. Wen das nicht stört, der ist mit diesem B&B gut beraten.

 

Nach zwei Nächten in Rouen ging es also endlich los. Die eigentliche Reise kann beginnen!
Durch’s idyllische Seinetal wird es gehen, vorbei an der Klosterruine von Jumiège, über Pont Audemer an die Blumenküste mit den berühmten Hafenorten Honfleur, Trouville und Deauville. Das gibts aber erst im nächsten Artikel 🙂

Mehr Fotos aus Rouen findet ihr unten.

Alle bisher erschienenen Artikel über unsere Normandie-Reise: 
#1: 716km durch die Normandie
#2: Der Weg ist das Ziel – oder so
#3: Normannischen Boden unter den Rädern. Ankunft in Rouen
#4: Verfallene Größe und idyllische Landstraßen. Mit dem Rad durch’s Seinetal
#5: Vom Seinetal an die Blumenküste. Klangvolle Namen, Geisterstädte und saftige Wiesen
#6 Lisieux. Ein fauler Tag mit dem Segen der heiligen Thérèse
#7 Kühe, Käse, Calvados – Mit dem Fahrrad durchs Pays d’Auge
#8 Von Falaise durch die Normannische Schweiz nach Caen
#9 „Urlaub vom Urlaub“ im wunderschönen Bayeux
#10 D-Day-Feiern an den Landungsstränden. „Where have all the flowers gone?“
#11 Lob der Faulheit
#13 Das Wunder des Abendlandes: Der Mont St. Michel

Mehr Bilder aus Rouen:

Noch Reiseliteratur gesucht?*

normandie_219(Affiliatelink)Wie so oft hat uns auch auf dieser Reise ein Reiseführer vom Michael Müller Verlag *(Affiliatelink) begleitet.

Ralf Nestmeyer: Normandie
Michael Müller Verlag, 456 Seiten + herausnehmbare Karte (1:500.000), farbig
ISBN 978-3-95654-218-3
3. Auflage 2016

 


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0 Gedanken zu “#3. Normannischen Boden unter den Rädern – Ankunft in Rouen

  1. solang das klo nicht nur durch einen vorhang getrennt ist… 🙂 schöne eindrücke von rouen, wenn auch die anreise seeehr beschwerlich klingt! unglaublich, was die normandie so für geschichte hat. spannend. irgendwie ist das alles nicht wirklich präsent in meinem kopf…

  2. Wow, das hört sich nach einem gelungenen Urlaub an. Wenn mein Begleiter nicht so ein Sportmuffel wäre…
    Solche Touren werden für mich auf ewig ein Traum bleiben. Denn alleine werde ich bestimmt nicht radeln.
    Liebe Grüße
    Andrea

  3. Hallo! Ein wirklich gelungener Bericht mit tollen Bildern =) Ich habe mir fest vorgenommen, nächstes Jahr in die Normandie zu reisen, da ich dieses Jahr bereits einen Dolomiten Urlaub gemacht habe. Ich freue mich jetzt schon darauf =) Danke für deinen Bericht und viele Grüße

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