Heimweh schmeckt nach Hiffenmark

Meine ganze Kindheit und Jugend hindurch waren Faschingskrapfen mit Hiffenmark – also mit Hagebuttenmarmelade – gefüllt. Das war einfach so. Ich wuchs mit der Idee auf, dass DER Faschingskrampfen eine Hiffenmarkfüllung hat. Jede andere Füllung – Vanille, Schoko, andere Marmeladen – musste man extra bestellen. Aber DER Faschingskrapfen, der NORMALE, war mit Hiffenmark gefüllt.
Nicht im Traum wäre ich darauf gekommen, dass Menschen anderer Länder oder Regionen ihre Krapfen mit irgendetwas anderem füllen könnten.

Als ich nach Österreich kam, wurde ich eines Besseren belehrt. Hiffenmark? Das kannte man nicht mal. DER Faschingskrapfen enthielt hier die allgegenwärtige Marille (also Aprikose). Marillenmarmelade im Faschingskrapfen kam für mich einer Barbarei gleich! Wie konnte man in den NORMALEN Faschingskrapfen nur irgendetwas anderes füllen als Hiffenmark?

Vergangenes Jahr war ich dann in der Faschingszeit im heimischen Franken und zum ersten Mal seit sechs langen Jahren aß ich mit großem Genuss wieder Faschingskrapfen mit Hiffenmark. Ich war wieder in Deutschland. Ich war wieder daheim!

Guten Mutes marschierte ich kürzlich in München in eine Bäckerei, um mir einen Krapfen zu gönnen. Als ich hineinbiss, sah ich, was er enthielt: Aprikosenmarmelade. APRIKOSE??? Wenn ich Marille im Krapfen wollte, würde ich ja wohl wieder nach Österreich ziehen!

Na gut, ich beruhigte mich. Das war wohl einfach Pech, immerhin gab es ja auch in Franken schon immer Aprikosenkrapfen, genauso wie es auch Vanille- oder Schokokrapfen gab.
Beim nächsten Mal würde ich einfach darauf achten, einen NORMALEN Krapfen zu erwischen.

„Was ist denn da in den Krapfen?“, fragte ich gut gelaunt lächelnd beim Bäcker.
„Mehrfruchtmarmelade. Erdbeer, Johannisbeer…“
Ich erstarrte.
„Mehrfruchtmarmelade?“
Pause.
„Hagebuttenmarmelade haben Sie nicht?“
„Nein, leider, nur die Mehrfrucht.“
„Hmm… naja, das ist wohl nicht so verbreitet hier mit der Hagebuttenmarmelade?“, wagte ich zu fragen
„Nee, das mit dem … wie heißt das … Hiffenmark? das ist ja eher in Baden-Württemberg, glaub ich.“
„Franken“, antwortete ich leise. „In Franken ist das.“
„Ah, Franken. Naja, hier in München jedenfalls eigentlich nicht.“

In einem Artikel über die Dinge, die sich ändern, sobald man woanders lebt, habe ich einmal folgendes gelesen:

„Nostalgia strikes when you least expect it. A food, a song, a smell. The smallest trifle can overwhelm you with homesickness. You miss those little things you never thought you’d miss, and you’d give anything to go back to that place, even if it were just for an instant. Or to share that feeling with someone who’d understand you…“

Ich erinnere mich an einen Abend beim Heurigen in Niederösterreich. Vor mir stand eine Platte mit verschiedenen Aufstrichen. Einer davon sah frappant so aus wie mein geliebter Gerupfter (ein fränkischer Käseaufstrich, ähnlich dem bayerischen Obazda). Ich war hin und weg. Den hatte ich hier in Österreich ja noch nie bekommen. Begeistert schmierte ich ihn auf mein Brot und biss herzhaft hinein- um festzustellen, dass es sich um schnöden Liptauer handelte.
In diesem Moment hätte ich vor Heimweh Rotz  und Wasser auf mein Liptauerbrot heulen mögen und viel dafür gegeben, mich nach Franken auf einen Keller zu beamen. Das sind die schlimmsten Momente, wenn man nicht mehr zu Hause wohnt: Wenn einen das Heimweh völlig unvorbereitet überfällt. Es sind dann die kleinen Dinge, nach denen man sich plötzlich sehnt, die, die man immer für normal und alltäglich gehalten hat und die plötzlich zu etwas Besonderem werden.

Genauso ging es mir in der Münchner Bäckerei. Ich hätte heulen können.
Die Verkäuferin hatte immerhin Mitleid mit mir.
Trotzdem noch einen schönen Abend!“, sagte sie, als sie mir den Mehrfruchtmarmeladenkrapfen einpackte.

Zuhause rief ich meine Mama an. Sie muss mir Krapfen besorgen, wenn ich heimkomme. Die normalen, mit Hiffenmark.


So, das war er, der Beitrag, mit dem ich so wunderbar an der Heimat-Blogparade hätte teilnehmen können – wenn ich ihn nur ein bisschen eher geschrieben hätte.

Dafür reiche ich ihn nach zu der wunderbaren Blogparade „Essensgelüste im Urlaub: Wenn der Magen plötzlich Heimweh hat“ 🙂

32 Gedanken zu “Heimweh schmeckt nach Hiffenmark

  1. Bitte was??? Ich verstehe kein Wort 😉

    Na gut..von der Hagebuttenmarmelade hatte ich hier bei dir ja schon mal gelesen. Und eben überlegte ich wieder mal, ob ich je im Leben schon mal Hagebuttenmarmelade irgendwo gesehen geschweige denn probiert habe.
    Der Geschmack und der Geruch der Kindheit/Heimat ist wunderbar.

    Hier in Berlin schmecken die Berliner (Krapfen, Pfannkuchen…) genau wie in Rostock. Nur fühlen sich die Berliner eben beleidigt, wenn ich im Bäcker nach Berlinern frage. Hihi.

    Gerupfter und Liptauer. Ihr im Süden habt wirklich komische Bezeichnungen fürs Essen 😉

    • Also bei uns ist entweder Erdbeermarmelade oder Pflaumenmus in den Berlinern.

      Nur zum Fasching gibt es dann Berliner mit allen möglichen Füllungen. Hiffenmark aber defintiv nicht.

      Jedenfalls weiß ich was ich tun werde wenn ich in Franken bin 😀

      • Also, wenn du in Franken bist, gibts noch viiiieeeel mehr zu probieren, als „nur“ Krapfen mit Hiffenmark 😀 Wende dich dann vertrauensvoll an mich 😉 Vielleicht sollte ich mal ne Bloggerreise anbieten 😀 Tobias will ja auch unbedingt noch mal bei schönem Wetter nach Bamberg

        Pflaumenmus kann ich mir auch gut vorstellen… mhh

  2. Ich erinnere mich, daß bei uns der Krapfen (oder „Berliner“) in meiner Kindheit mit Apfelmus gefüllt war. Das war total lecker. Später dann kam Kirschmarmelade hineien und heute leider auch Aprikosenmarmelade. Ich habe am Niederrhein gewohnt… *seufz*
    Übrigens mit dem Wandel der verschiedenen Füllungen wurden auch sonderbarer Weise die Mengen immer weniger.
    Gerade habe ich einen Berliner gegessen – es war Kirschmarmelade drin – allerdings nur ein kleiner Klecks….
    LbG Isi

    • im Mehrfruchtmarmeladenkrapfen war richtig viel!! Aber stimmt schon, oft ist da nur noch gaaaanz wenig Füllung drin.

      Apfelmus… stimmt. Das hab ich auch schon mal gegessen!

  3. Ich hab nie woanders gelebt als zu Hause, deshalb kenne ich so ein überwältigendes Heimwehgefühl nicht. Als wir 11 Monate unterwegs waren, habe ich mich bloß ab und zu nach deutscher Gründlichkeit, Pünktlichkeit, Effizienz gesehnt, all die Klischees. Und andersherum kenne ich es jetzt ein bisschen, dass mich irgendwas an einen bestimmten Reiseort erinnert, und ich einen Moment lang ganz unbedingt wieder dorthin zurück möchte…

    Liebe Grüße aus dem schönen Schaumburg (wo man übrigens überhaupt keine Krapfen kennt, höchstens Berliner, die mit irgendeiner roten Marmelade gefüllt sind, die möglicherweise Mehrfrucht heißt 😉 )!

  4. Super geschrieben! Ich kenne das Gefühl, das Du beschreibst. Ich habe manchmal Heimweh nach Vergangenem… Huch, bin ich alt…. Hiffenmark! Tolles Wort.

  5. du schreibst mir aus der Seele. Auch nach 20 Jahren zucke ich noch zusammen, wenn im Krapfen die Marillenmarmelade zum Vorschein kommt und nicht das Hiffenmark (ein Wort, über das mein Mann, Grazer durch und durch, immer noch grinst). Wobei es bei uns in der westlichen Oberpfalz auch wirklich nur die mit Hiffenmark und mit nichts anderem gab. Inzwischen mag ich die mit Vanillefülle auch 😉 Auch vieles andere in dem schönen Artikel kann ich unterschreiben (Grupfdn, aber auch Ziebeleskäs mag ich seit meinem Studium in Bamberg auch sehr gern, mit Liptauer kann man mich jagen…). Und Kniedla vermisse ich inzwischen auch, obwohl ich in meiner Kindheit die sonntäglichen Kartoffelknödel irgendwann nicht mehr sehen konnte. Was so eine Knödelwüste ausmacht 😉 lg heike

    • Ach, die Glööß, wie sie bei uns in Bamberg heißen, davon hab ich nie genug bekommen 😀

      Aber schön, dass es noch mehr Leute gibt, die das auch so erlebt haben 😀

  6. Ich lebe seit fast 19 Jahren in der USA, und vermisse alles Fränkische, die Marmelad, die Glöös, leberkäsbrötla, einfach alles. Dein Artikel spricht mir von der Seele, ich bin aus Bamberg, freue mich immer wenn ich Care- Päckchen von zuhause bekomme, die dann auch meist einen Hiffenmark enthalten, da mein Cousin aus Hassfurt ist, wo die Gute herkommt. Der erste Weg nach der Ankunft in Frankfurt führt mich immer zum Metzger, wo dann mein Leberkäsbrötla,statt einer normalen Scheibe, fast schon ein halbes Pfund drauf hat, schmeckt soooooo gut!

    • hach ja, das kann ich mir vorstellen. Wenn es mir in Wien und München schon so ging, wie muss es dann erst Dir in den USA gehen? Den Leberkäs hab ich ja immer noch bekommen- bei Bratwürsten sah und sieht es da z.T. schon schwieriger aus…. ganz zu schweigen vom Bier.

  7. Pingback: Nachlese zu “Heimweh schmeckt nach Hiffenmark” | wandernd

  8. Pingback: Blogparade: Essensgelüste im Urlaub | Jäger des verlorenen Schmatzes

  9. Ich kenne die Berliner Pfannkuchen mit Pflaumenmus.
    Köstlich amüsant, Dein Artikel! Wo bleibt denn die Globalisierung, wenn es schon in Deutschland solche gravierenden UNterschiede gibt! 😉
    Ich mag die Berliner übrigens gerne mit Eierlikör-Füllung
    LG
    Ulrike

  10. So ist es mir umgekehrt ergangen, als ich im November aus dem Ruhrgebiet nach Oberfranken gezogen bin .
    Da sehe ich beim Bäcker Berliner in der Auslage liegen, aber sie heißen plötzlich nicht mehr Berliner, nein, man nennt sie Krapfen und gefüllt seien sie mit „Hiffenmark!“
    Ich habe zuvor nie etwas von Hiffenmark gehört und meine Nachfrage, was denn dieses mysteriöse Hiffenmark denn sei, wurde mit einem ungläubigen Aufreissen der Augen quittiert!
    „Hagebuttenmarmelade…!“
    Ich mochte es nicht, für mich gehörten in Berliner Himbeerkonfitüre oder Aprikosenkonfitüre und nichts anderes und schon garnicht dieses Hiffenzeug.
    Aber ich gab mich geschlagen und kostete und… mochte es nicht.
    Aber: Vier Monate später steht in meinem Kühlschrank ein Glas Hiffenmark und zwar nicht das erste.
    Wir werden langsam warm miteinander.
    Jetzt muss ich mich nur noch mit dem Kümmel im Brot anfreunden und damit, dass man beim Bäcker scheinbar nie unkompliziert einfach nur 5 Brötchen kaufen kann und „Normale“ ohne Nachfrage eingetütet werden.

    • Das mit den Brötchen überrascht mich jetzt… Weil es ja die „normalen“ (Kaiser) schon gibt….
      Der Rest ist mir sehr bekannt. Als ich nach Österreich zog, freute ich mich anfangs über die Marillenmarmelade, weil das immer meine liebste Sorte war. Nach einem Jahr konnte ich sie nicht mehr sehen. Erst jetzt, 4 Jahre nach meinem Wegzug, kann ich sie langsam wieder essen.

      • Hallo Ilona,
        im Ruhrgebiet sind „Normale“ Schnittbrötchen, hier in Oberfranken heißen sie wohl Kipfla, wie man mir dann irgendwann mal erklärte. Bei einigen Bäckern habe ich bereits feststellen müssen, dass diese nicht angeboten werden, da sie sich schlechter verkaufen.
        Die Kaisersemmel ist hingegen im Ruhrgebiet eher eine Rarität, zumindest sieht man sie sehr selten.

        Kommt man in NRW in eine Bäckerei und sagt 5 Brötchen (und nichts anderes, auch nicht „Normale“), bekommt man Kipfla eingepackt.
        Wenn ich hier in Bamberg 5 Brötchen bestelle, werde ich gefragt, welche es denn bitte sein dürfen. 😀

        Übrigens:
        Auch in einer Kaisersemmel habe ich schon dezenten Kümmelgeschmack wahrgenommen. 😀
        Und darüber war ich nicht sooo erfreut.

        Aber ich tue mich generell noch etwas schwer hier, habe doch häufiger mal Heimweh, da hilft auch „a Seidla“ nichts da braucht’s mindestens zwei.
        Am schlimmsten ist es immer noch zu sehen, was man hier unter Currywurst versteht.
        Und da weiß man: In Oberfranken werde ich NIE eine Bottroper Schlemmerplatte/Mantateller bekommen wie daheim.

        Was ich eigentlich sagen wollte:
        Meist begehrt man das, was man kennt und Heimat, bleibt immer Heimat und da kommt auch nix dran.
        Aber wenn man dann mal wieder da ist, dann dann freut man sich umso mehr.
        Und letztendlich würde man sonst ja vielleicht garnicht all diese neuen und anderen leckeren (oder nicht so leckeren) Dinge kennenlernen. <3

      • Hahaha… Wenn du glaubst, die Currywurst in Oberfranken sei furchtbar, dann ziehe NIE NIE nach Österreich!!! DAS ist ei. graus. Genau wie Bratwürste (auch in Niederbayern) – total blass gebraten. Grauenhaft. Dafür habe sie dann Berner und Käskrainer. man muss immer das beste draus machen und dann daheim im Bekannten schwelgen😊 oder es sich mitbringen lassen. Hab hier nen Kasten Rauchbier stehen 😁

  11. Ich bin gerade zufällig auf deinen Blog gestossen, auf der Suche nach Hiffenmark, um es einem „Nicht Franken“ zu erklären.

    Deine Zeilen sprechen mit gerade aus der Seele 🙂 Wir sind vor kurzem von Erlangen nach Ostholstein gezogen und ich vermisse so viel kulinarisch, was mir vorher gar nicht so klar war..

    Richtiges Bauern oder Gewürzbrot – das länger als einen Tag lecker ist, mit röscher Kuste und saftiger Krume – sucht man hier vergebens. Bratwurstgehäck, Gelbwurst, Krapfen, Pressack und richtiges Bier.. ich verzweifle *haha*

    Viele Grüße in den Süden

    • Gerade deinen Kommentar aus dem Spam gefischt. Und ja, ich kann mir vorstellen, was Du von daheim alles vermisst. „Knieküchla“ kannte ich bisher nicht. Bei uns heißt der Hut- oder Kerwaskrapfen 🙂

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