„Einmal München-Antalya, bitte“ Ein Plädoyer für langsames Reisen und gelebte Träume

Rezension des Buches „Einmal München-Antalya, bitte. Von der Kunst, langsam zu reisen“ von Thomas Käsbohrer, das mir der Verlag Millemari zur Verfügung gestellt hat.

„Und doch. Da war dieser Traum. Morgens beim Aufwachen die Farbe des Meeres, das Blaugrüngrau der nördlichen Adria vor Grado an einem Sommermorgen. In langweiligen Meetings minutenlang mir die Farbe des Meeres vorstellen, mich wegbeamen, wie brechende Wellenkämme zu durchscheinendem Glas werden, wenn die tief stehende Sonne bei höheren Windstärken durch sie hindurchscheint. Die Gewichte, die in einem glücklichen Leben an mir hingen, nicht mehr zu spüren. (…)
Es dauerte 15 Jahre, bis es so weit war. Mein Leben, es hatte mich dahin getragen, wo mein Traum es hin haben wollte. Mein kleines Schiff LEVJE, lag bereit im Hafen. Ich hatte 15 Jahre davon geträumt.“ (S. 14)

Als ich Thomas Käsbohrers Buch zur Hand nahme, stellte ich mich einfach auf eine nette Reisegeschichte ein: ein Mann, der mit seinem Segelboot fünf Monate lang von Slowenien bis nach Antalya reiste. Ich hatte keine Verbindung zum Segeln, aber Reisegeschichten lese ich eigentlich immer gerne.

munchen-antalya

Da war dieser Traum… 

Ziemlich schnell merkte ich, dass dieses Buch und Käsbohrers Geschichte einen besonderen Punkt bei mir ansprachen: Ich selbst trage einen Traum mit mir herum, seit über drei Jahren schon. Als ich arbeitslos war, war er plötzlich da. Wenn ich bis zum Ende des Monats keine Stelle fände, würde ich durch Italien wandern. Auf jeden Fall ein halbes Jahr! Das war der Plan. Ich fand die Stelle schneller als gedacht und schweren Herzens hielt ich mich an meine eigene Abmachung mit mir selbst und vertagte die Reise. Der Traum blieb. In miesen Stunden und an trüben Tagen, sehe ich mich in Süditalien durch Olivenhaine wandern. Ich sehe mich in Städten ankommen und an Klostertüren klopfen. Der Traum ist noch immer da. Manchmal frage ich mich, ob ich mir diesen Traum wohl noch erfüllen werde. War es klug, ihn zu vertagen oder ist seine Erfüllung damit in weite Ferne geraten?

Thomas Käsbohrer trug den seinen 15 unglaubliche Jahre mit sich herum – und erfüllte ihn sich. „Bleibt der Traum bestehen: Dann ist es ein Traum. Und wie immer ist es dann nur die Frage des richtigen Zeitpunkts“ (S. 305) Mein Zeitpunkt war vielleicht damals nicht richtig. So wie Thomas Käsbohrer 15 Jahre wartete, bis für ihn und LEVJE der richtige Zeitpunkt gekommen war.

Und dann erfüllte er ihn sich.

Mit dem Segelboot bis nach Antalya

Nach dem aprupten Ende seiner Karriere in einem Münchner Verlag war für den Historiker Käsbohrer die Zeit gekommen: JETZT war der richtige Moment, um sich den langgehegten Traum zu erfüllen. Von München aus fuhr er nach Izola in Slowenien, wo LEVJE im Hafen lag und auf ihn wartete. Und von dort ging es los: Durch die Lagunen von Grado bis Venedig, dann die italienische Ostküste hinab, durch die Straße von Otranto bis nach Griechenland. Dort umschiffte er die Peloponnes, fuhr durch die griechische Inselwelt in die Türkei und beendete seine Reise schließlich in Antalya. Und dies alles in mehr als fünf Monaten.

Es ist wohl kein Geheimnis, dass v.a. die Tour entlang der östlichen Küste des italienischen Stiefels meinen Neid erregte und mich am liebsten meine Sachen hätte packen und nach Italien reisen lassen.
Aber gerade die Dinge, die ich so wohl nie zu Gesicht kriegen werde, waren es, die mich an diesem Reisebericht besonders faszinierten: Wie erlebt man die Lagunenlandschaft der nördlichen Adria vom Wasser aus? Wie sieht es dort aus? Wie ist die Atmosphäre? Wie ist es wohl auf einem Schiff in Venedig einzufahren? Wie ist es in einsamen Buchten griechischer Inseln zu ankern und dort zu übernachten? Und wie sieht die Küste vom Wasser aus denn nun aus? Ich bin ja doch eher eine Landratte – und diese Beschreibungen erschlossen mir eine eigene Welt, die mir völlig fremd ist. Selbst fremd in Gegenden, in denen ich schon war.

Ein Plädoyer für langsames Reisen: All die Kleinigkeiten am Wegesrand

Das langsame Reisen hat einen Vorteil: Man kennt nicht nur A und B, sondern auch den Weg dazwischen. So wie ich die kleinen normannischen Landstraßen und die grünen Wiesen kennen gelernt habe, so lernt Käsbohrer die griechische Inselwelt kennen. Er fliegt nicht auf eine Insel, steigt dort aus dem Flugzeug und erkundet sie. Nein, er hangelt sich von einer zur anderen und widmet mehrere Texte seines Buches „vergessenen Inseln“. Am liebsten würde man sofort losziehen und genau diese kleinen, unbeachteten Inseln selbst entdecken.

„Unmittelbar östlich von Milos liegt ein kaum bekanntes, vergessenes kleines Inselparadies: zwei große und viele kleine Inseln, Inselchen, Felsbänke, Riffe, deren Namen kaum eine Seekarte nennt. Die beiden Hauptinseln dieser Gruppe heißen Kimolos und Polyegos und sie sind nicht unbedingt klein: Auf Kimolos leben immerhin fast 1000 Menschen.
Die Bedingungen sind hart. Ein bisschen Landwirtschaft. Etwas Fischfang. Ein wenig Tourismus. Es gibt kaum Wasser auf der Insel, mühsam schleppen es Tankschiffe herbei und nicht selten ist der Magel im Sommer so groß, dass Wasser rationiert werden muss. Dann gibt es „Wasseralarm“. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass die Inseln – anders als das unmittelbar daneben liegende Milos – „vergessene Inseln“ sind. Sie liegen abseits der großen Ströme. Unentdeckt. Sich selbst, Wind und Zeit überlassen.“ (S. 219)

Solche Ecken entdeckt man nur, wenn man langsam reist. Man kann sie nicht in Flieger finden und auch nicht mit dem Wagen auf der Schnellstraße.

Käsbohrers Buch ist eine Erinnerung daran, wieso man häufiger langsam reisen sollte. Nicht nur wegen der vergessenen Inseln, nicht nur wegen der Ausblicke vom Meer aufs Land. Nein, sondern vor allem weil er in seinem Bericht einen besonderen Fokus auf die kleinen Dinge am Wegrand – das heißt in seinem Fall: am Ufer – legt. „Der Mensch und seine Sachen“ heißt eine Kategorie, in der er vom riesigen Kran zur antiken Skulptur alles beschreibt, was sein Interesse erweckt. Auch das liebe Geld, das über einem Teil der Einwohner eines kleinen italienischen Dorfes über Nacht in Form eines Lottogewinns hereinbrach gehört dazu.

„Menschen am Meer“ ist der Name einer weiteren Kategorie. Mal nur im Vorbeigehen, mal in intensiveren Gesprächen beobachtet er seine Mitmenschen, die ihm auf dieser Reise begegnen. Eisenwarenhändler und Imker, italienische Nonnas und junge hoffnungsvolle Türkinnen. Wer schnell reist, hat kaum Zeit für diese Beobachtungen, hat kaum Gelegenheit dazu, sich darauf wirklich einzulassen.

„Das, was uns begegnet, wenn wir unser Zuhause verlassen, ist wichtig.“ (S. 304)

„Von der Kunst langsam zu reisen“ ist der Untertitel des Buches. Eigentlich ist es eine Einladung, es mal wieder selbst zu tun und sich dabei selbst zu fragen: Darf man das? Einem Traum folgen, bloß weil er immer wieder kehrt?
Nach der Lektüre dieses Buches ist die Antwort eindeutig: Ja, das darf man!

„Ich weiß nach dieser Reise mit Bestimmtheit: Wenn du eine Sehnsucht, einen Traum hast. Was immer es ist. Finde den richtigen Zeitpunkt. Lebe ihn“ (S. 304)


Das Buch „Einmal München-Antalya, bitte. Von der Kunst, langsam zu reisen“ von Thomas Käsbohrer erschien im Millemari Verlag, der mir ein Exemplar freundlicherweise zur Verfügung stellte, als ich Interesse an dieser Geschichte bekundete.

Thomas Käsbohrers Segelabenteuern kann man auch auf seinem Blog Mare più folgen. Dass das Buch aus einem Blog hervorgegangen ist, kann es nicht verleugnen. Zum einen fällt eben die oben genannte Einteilung in Kategorien auf, zum anderen wird man ein paar wenige Male doch noch aufgefordert „hier“ zu klicken 😉 und auch die Einstreuung von Links zur Veranschaulichung der Reise ist gegeben. An sich eine interessante Idee, wie die verschiedenen Medien ineinander greifen können.
Inzwischen gibt es auch einen Film, den ich aber leider noch nicht gesehen habe. (siehe Trailer auf youtube)

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9 Gedanken zu “„Einmal München-Antalya, bitte“ Ein Plädoyer für langsames Reisen und gelebte Träume

  1. Sehr gut geschrieben, macht definitiv Lust auf mehr! Rein vom Titel her, hätte mich das Buch nicht angesprochen, aber jetzt…. hm, vielleicht möchte ich es auch mal lesen (wenn ich nur die Zeit/Ruhe hätte).
    Achja und langsam Reisen hat wirklich Vorteile 😉 Das lernt man auch mit Kind!

  2. Also vor Seglern, die sich einen Traum erfüllen, habe ich ganz besonderen Respekt. Da gebügt es ja nicht den Rucksack zu Seite zu stellen und zu sagen, danke, ich hör jetzt auf! Aber eigentlich habe ich vor jedem Respekt, der sich seine Träume erfüllen kann!

    • Ich dachte mir andersrum aber auch, dass Segler einen Vorteil haben: Sie müssen das, was sie dabei haben, nciht selbst schleppen wie Wanderer oder Radler. Ein Kilo mehr spielt dann wohl auch keine Rolle mehr 😉

  3. Ein schöner Bericht über das Buch. Und jetzt? Wann startest du selbst?
    Ich glaube einen Traum erfüllen KANN sich jeder. Man muss nur den Mut habe, es auch zu TUN, oder?

    Liebe Grüße
    Katja

    • tja, wann starte ich selbst? Keine Ahnung… neben dem Mut brauchts auch den richtigen Moment. Der ist gerade noch nicht. 😉 Ich hab meinen Miezis versprochen, das nicht zu machen, solange sie noch leben. Sie sind schon alt und ich will sie kein halbes Jahr alleine lassen.

  4. Oh, das klingt aber nach einem schönen Buch. Und ja, es ist doch immer wieder spannend, wie man seine eigenen Wünsche und Ideale in den Büchern anderer findet, oder? Träume sollte man sich erfülle, ich muss auch dringend wieder in die Mongolei 🙂 Danke, das das schöne Lesefutter

  5. Da kann ich nur zustimmen. Langsam reisen ist tatsächlich wahnsinnig gut. Wenn man sich die Zeit nehmen kann. Toll geschrieben und ich kann mich bei Mel nur anschließen, vom Titel her hatte ich das Buch eher nicht in die Hand genommen. Aber das hört sich sehr spannend an.

    • ja wenn man sich die Zeit nehmen kann. Stimmt. mit 30 Urlaubstagen ists halt oft so, dass man nicht so langsam reisen kann, wie man gerne möchte. Aber es geht ja trotzdem – man kommt halt nicht ganz so weit, wie wenn man mehrere Monate hat 😉

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