Eigentlich bin ich vollkommen reiseuntauglich

Angst auf Reisen? Kenn ich.
Von der Entdeckung meiner Höhenangst habe ich euch bereits ausführlich erzählt. Wenn ich je dazu kommen sollte, über meinen Kappadokienurlaub zu schreiben, werdet ihr auch noch etwas über Höhlenkoller erfahren.
Ich gestehe: Ich bin einfach ein Angsthase! Ach was, ich bin vollkommen reiseuntauglich!

Ich habe keine Ahnung, warum ausgerechnet ich mit so einer lebhaften Phantasie ausgestattet sein muss. Im Gedränge auf dem Petersplatz bei einer Papstansprache frage ich mich sofort, wie es wohl wäre, wenn hier jetzt eine Panik ausbräche. Auf einem Schiff überlege ich ständig, ob ich es bis ans Ufer schaffe – und ob eine SD-Karte es überlebt, wenn sie nass wird!
In der Londoner U-Bahn konnte ich nicht anders, als mich an den Terroranschlag von 2005 zu erinnern – und ich bin froh, dass ich erst am letzten Tag bemerkte, dass ich in den Wägen nirgends eine Notöffnung für die Türen entdecken konnte.
Wenn ich mit dem Rad einen Berg hinabbrause, frage ich mich unwillkürlich, was wohl geschähe, wenn mir bei 50km/h die Speichen reißen oder die Felge bricht.
Falle ich wohl beim Überqueren dieses blöden Baumstammes in den Fluss oder gar in der Wüste vom Dromedar? Und was passiert mit meinem Foto, wenn er dann im Wasser oder im Wüstensand landet? (Ja, eine meiner Hauptsorgen gilt IMMER auch meinem Foto!)

Marokko-Dromedar

es gibt kein Bild von mir auf dem Rücken eines Dromedars, weil ich mich nicht traute, loszulassen und meinen Foto runterzureichen 😀 Beim Ritt selbst überwog mein Drang, die Motive festzuhalten, und ich musste einfach doch fotografieren, allerdings bloß einhändig

Ich weiß, viele dieser Befürchtungen sind fast schon paranoid. Die Wahrscheinlichkeit, zuhause in der Badewanne auszurutschen, ist um einiges höher. Und auch wenn ich nie wirklich Angst habe, dass all das eintreten könnte, kriege ich diese Gedanken nie ganz los und das ärgert mich.
Mit 50km/h auf dem Rad einen Berg hinabzurasen macht nämlich irrsinnig viel Spaß. In London U-Bahn fahren fand ich spannend und den Ritt auf dem Dromedar ziemlich witzg. Naja, gut, die Papstansprache hätte unterhaltsamer sein können, aber trotzdem…

Eigentlich bin ich also völlig reiseuntauglich. Meine Einbildungskraft ist einfach zu groß. (Von meinem empfindlichen Magen und der Anfälligkeit zur Reiseübelkeit will ich jetzt mal gar nicht reden… )
Aber das ist auch der Grund, warum ich all das trotzdem immer mache: Meine Einbildungskraft ist groß genug, um mir all die schönen Ecken auf der Welt vorzustellen, die ich sehen möchte. Sie ist groß genug, um mir vor Augen zu führen, wie groß meine Enttäuschung wäre, wenn ich mich von Feigheit und irrationalen Gedanken von all diesen Erlebnissen würde abhalten lassen. Meine Einbildungskraft ist so groß, dass ich mir ausmalen kann, wie ich bei einer Radtour nach all den Kilometern und kräftezehrenden Quälereien am Ziel ankomme – und sie ist tatsächlich groß genug, dass ich bei diesem bloßen Gedanken vor Freude heule, obwohl ich noch überhaupt nicht losgefahren bin. „I did not want to be depressed by the gap existing between my weakness and my ambition“, sagte Ella Maillart einmal.
So versuche ich das auch zu sehen: Ich mag reiseuntauglich sein – aber ich werde mich davon sicher nicht vom Reisen abhalten lassen.

ella_maillart_txt

Übrigens: Im Drama „Jeanne oder die Lerche“ lässt Jean Anouilh Johanna von Orleans dem ängstlichen Dauphin Charles erklären, wie man seine Angst überwindet. Und es klingt so einfach: Man hat einfach vorher Angst.

Du sagst Dir: Gut, ich habe Angst, aber das ist meine Sache, das geht niemanden etwas an. Ich gehe meinen Weg weiter… (…) Ich habe Angst. Richtig Angst. Noch ein paar Sekunden – so… und jetzt, nachdem ich Angst gehabt habe, jetzt los und drauf! Darüber sind die anderen so verdutzt, daß sie es plötzlich mit der Angst zu tun bekommen. Doch da bist Du schon da und stürmst über sie hinweg! Du siegst, weil Du als der Klügere und Phantasievollere eben vorher Angst gehabt hast. Mehr braucht es nicht.

0 Gedanken zu “Eigentlich bin ich vollkommen reiseuntauglich

  1. anouilh ist super. und die optische gestaltung dieses zitats auch. sieht richtig toll aus!
    mir geht es übrigens mindestens genau gleich wie dir. diese vorstellungskraft, was denn hier nicht alles schiefgehen könnte… ein reifenplatzer in amerikas wüste, bei 40 grad, keinem handynetz und weit und breit keiner menschenseele (das war nichtmal sooo unwahrscheinlich), schlimme turbulenzen, angst vor zahnschmerzen und anderen unnötigen krankheiten, vor verdorbenen lebensmitteln, vor panik in menschenmengen (französische ubahn an einem vorweihnachtssamstagabend kurz vor der champs-élysées), vor schlimmen unwettern am schiff und und und. aber wie du sagst – davon darf man sich nicht abhalten lassen. und im nachhinein ist es nebst der tollen eindrücke immer auch ein bisschen ein stolz über das überwinden der ängste.

  2. Oh, all diese Gedankengänge kenne ich nur zu gut. Gerade ging es mir auf dem Schiff von Stockholm nach Tallinn so. Natürlich musste ich sofort an die Estonia Katastrophe denken und als es dann auch noch Nachts schwankte und wackelte, hatte ich meinen persönlichen Evakuierungsplan schon bis ins Detail ausgetüftelt ….Komischerweise sind aber erst in den Dreißigern und mit Kind im Schlepptau vermehrt solche Gedanken aufgetreten. Wo ist nur all die Leichtigkeit der Jugend hin?
    Komplment, schön geschrieben, dein Beitrag!

    • Vielen Dank, Eva. Ja, die Leichtigkeit der Jugend 😀 Ich weiß nicht, ob ich die jemals so hatte… ich hatte schon als Kind immer Angst, vom Klettergerüst zu fallen 😀

  3. Juhu, ich bin nicht allein mit meinen Gedanken, was alles passieren könnte 🙂 (natürlich ist noch nie etwas ernsthaftes passiert!). Man könnte wesentlich entspannter leben ohne solche Gedanken, aber… dummerweise kommen sie immer wieder 🙂
    Du hast einfach eine tolle Art zu schreiben!!! Ich schau immer wieder gern in deinen Blog

    • Danke schön, Katrin. Das freu mich 🙂

      Ja, es wäre um einiges entspannter, wenn man sich erst dann aufregen würde, wenn es auch soweit ist – und nicht immer schon vorher (ohne, dass dann überhaupt was passiert)

  4. Pingback: 2015 in Wort, Bild und Suchanfragen - Rückblicke und Blogempfehlungen | Finding Hummingbirds

  5. Ach, da bin ich froh, dass es bei mir meisten kein so schlimmes Kopfkino gibt. Klar, ich habe auch Angst. Ohja! Und ich bin tatsächlich mal von dem Baumstamm (ok, war nen Brett) in den kleinen Fluss darunter gefallen. Vielleicht liegt es an meinem Alter, meinen vielen Erfahrungen, dass ich jedenfalls beim Reisen kaum noch Angst empfinde. Meiner Schwester, mit der ich hin und wieder unterwegs bin, findet meine Gelassenheit nicht so toll, denn wenn sie schon denkt, dass wir den Zug verpassen, laufe ich immer noch ruhig durch den Bahnhof.
    Bei allem ist auch mir am wichtigsten, dass dem Fotoapparat nichts passiert.
    Safe and happy travels
    Ulrike

    • ARGH, diese entspannten zum Zug-Schlenderer kann ich ja gar nicht ab 😀 Ich bin immer schon 30min vorher da!
      Ich habe IMMER Angst, oft nur so eine diffuse Aufregung, Reisefieber, aber ein Kribbeln in der Magengegend ist immer da.

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