Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es – wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat -: dann ist die fünfte Jahreszeit.
Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an anderen Tagen atmet sie unmerklich aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: Geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist – nun ist es vorüber. Nun sind da noch die Blätter und die Gräser und die Sträucher, aber im Augenblick dient das zu gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: Im Augenblick steht das Räderwerk still. Es ruht.
Mücken spielen im schwarz-goldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne, tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen … kein Blatt bewegt sich,
es ist ganz still.
Blank sind die Farben, der See liegt wie gemalt, es ist ganz still. Boot, das flussab gleitet, Aufgespartes wird dahingegeben – es ruht.
So vier, so acht Tage –
Und dann geht etwas vor.
Eines Morgens riechst du den Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert – und doch alles. Es geht wie ein Knack durch die Luft –
es ist etwas geschehen; …
Noch ist alles wie gestern: die Blätter, die Bäume, die Sträucher … aber nun ist alles anders. Das Licht ist hell, Spinnenfäden schwimmen durch die Luft, alles hat sich einen Ruck gegeben, dahin der Zauber, der Bann ist gebrochen – nun geht es in einen klaren Herbst.
Wie viele hast du? Dies ist einer davon. Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht, es solle nie, nie aufhören. Es ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden – es ist nicht der Johannistrieb, es ist etwas andres. Es ist: optimistische Todesahnung, eine fröhliche Erkenntnis des Endes.
Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt.
Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.
Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.
Kurt Tucholsky
Zitiert nach: Kampa, Daniel (Hrsg.): Sonne, Regen, Wind und Schnee. Ein literarischer Spaziergang durch die Jahreszeiten, Diogenes : Zürich 2012, S. 146f.
Die Fotos entstanden in München (Hofgarten und Englischer Garten) sowie am Großen Ostersee, südlich von München.
Schön poetisch. Ich liebe den Herbst!
LG
Ulrike
geht mir auch so 🙂
ich weiß ganz genau was er meint. das ist wirklich die schönste zeit im jahr. und dein letztes bild: <3
„ganz genau“ weiß ich es nicht, aber irgendwie erfühlen, finde ich
Meine Mutter nennt diese Jahreszeit den Nachsommer und liebt ihn sehr. Hier hat er dieses Jahr etwas länger gedauert.
Irgendwann geht der Spätsommer in den Frühherbst über und irgendwie kann man es nur erspüren, wann das ist 🙂
Deine Bilder haben diese Zeit, in der das Jahr mal ganz kurz den Atem anzuhalten scheint, perfekt eingefangen! Ich bin hin und weg – und Tucholskys Worte passen einfach wunderbar dazu!!!
Leider hat sich dieses kleine Wunder dieses Jahr auf ein paar wenige Landstriche ganz im Süden und im Norden des Landes beschränkt – aber Wunder sind halt auch nicht immer und überall …
aber es gibt sie immer wieder 😉
Danke für Deine Worte!
Sehr schöne Worte zu tollen Bildern -> gefällt mit -> Viele Grüße aus Franken 🙂
Danke. Gruß zurück in meine Heimat 🙂