„Segler der Lüfte“: Wolken in Wort und Bild

„Ihr Segler der Lüfte, Wolken, Regenspender,
ihr nährende Wanderer des Himmels,
von eiligen Winden getrieben, feuersprühend
und donnernd auf leuchtender Bahn.
In der Brust tragt ihr das Brüllen des Äthers,
von den Winden zerrissen in wildem Gewühl.
Flehend rufe ich zu euch, ihr Spender des Taus,
sendet nährenden Regen auf die Mutter Erde herab!“

(antikes griechisches Gebet an die Wolken)

wolken-cover

In vielen alten Kulturen wurden die Wolken – naheliegenderweise –  als Regenbringer angerufen – sowohl bei den alten Griechen als auch z.B. bei den Pueblo-Indianern Altamerikas:

„Ihr Wolken kommt von den vier Himmelsrichtungen,
der Schnee komme in großen Mengen,
damit das Wasser reicht, wenn der Sommer kommt.
Das Eis bedecke die Felder, damit die Pflanzen sprießen,
alle Menschen sollen sich freuen.
Vier Tage wollen wir uns treffen und tanzen und singen,
es möge der Regen kommen in großer Fülle“

(Gebet zum Regenfest der Pueblo-Indianer)

Später wurden Wolken in der Lyrik zum Sinnbild für Vergänglichkeit. So wie man sie in diesem Moment sieht, existieren sie nur für diesen einen kurzen Augenblick. Im nächsten sind sie schon vergangen oder haben sich gewandelt.

„Wolke, Blume, Seifenblase,
Feuerwerk und Kinderlachen,
Frauenblick im Spiegelglase
Und viel andre wunderbare Sachen,
Dass sie, kaum entdeckt, vergehen,
Nur von Augenblickes Dauer,
Nur ein Duft und Windeswehen,
Ach, wir wissen es mit Trauer“

(„In Sand geschrieben“ von Hermann Hesse, Link zu youtube)

„Und auch den Kuss, ich hätt ihn längst vergessen,
Wenn nicht die Wolke dagewesen wär
Die weiß ich noch und werd ich immer wissen.
Sie war sehr weiß und kam von oben her.
Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer
und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind.
Doch jene Wolke blühte nur Minuten
Und als ich aufsah schwand sie schon im Wind“

(„Erinnerungen an die Marie A.“ von Bertolt Brecht)


Aller Vergänglichkeit zum Trotz sind Wolken ewig. So zum Beispiel für Hesse, Heine und Morgenstern:

„Und am hellblau, sternlosen Himmel
Schweben die weißen Wolken,
Wie kolossale Götterbilder
Von leuchtendem Marmor.

Nein, nimmermehr, das sind keine Wolken!
Das sind sie selber, die Götter von Hellas,
Die einst so freudig die Welt beherrschten,
Doch jetzt, verdrängt und verstorben,
Als ungeheure Gespenster dahinziehen
Am mitternächtlichen Himmel.“

(„Die Götter Griechenlands“ von Heinrich Heine)

„Es war mit Wasser, Bergeswind und Fluren
Ein brüderlicher Bund, der niemals brach,
Mit allen Wolken, die im Blauen fuhren
Und deren Lied von unsrer Heimat sprach.

Mit ihren großen ewigen Gewalten
Hab ich in Treue Brüderschaft gehalten …“

(„Was war mein Leben“ von Hermann Hesse, Link zu youtube)

„Und immer wieder,
wenn ich mich müde gesehn
an der Menschen Gesichtern,
so vielen Spiegeln
unendlicher Torheit,
hob ich das Aug
über die Häuser und Bäume
empor zu euch,
ihr ewigen Gedanken des Himmels.
Und eure Größe und Freiheit
erlöste mich immer wieder … „

(„An die Wolken“ von Christian Morgenstern)


Und genauso können Wolken das Innere des Menschen spiegeln – wieder ein Beispiel von Hesse, aus dem Kapitel „Bewölkter Himmel“ aus seinem Text „Wanderung„:

„Es wäre mir ganz unmöglich zu sagen, ob dieser bewölkte, still in sich bewegte, vielfädige Himmel sich in meiner Seele spiegelt oder umgekehrt, ob ich von diesem Himmel nur das Bild meines Innern ablese.“

(„Bewölkter Himmel“ von Hermann Hesse)

Die Anregung zu diesem Beitrag kam durch die Wolkenparade, zu der Bee von My everyday Life aufgerufen hat. Bis zum 13.11. könnt ihr auch noch teilnehmen.

Die Bilder wurden aufgenommen: Im Flugzeug nach Rom, in Ostia Antica, in Mauer bei Wien, in Tampere (Finnland), in Rom, am Semmering, noch einmal in Tampere, in Breisach am Rhein, am Bodensee und auf der Karlsbrücke in Prag  (von oben nach unten).


Das griechische Gebet „An die Wolken“ wurde zitiert nach: Hellstern, Christa (Hrsg.): Gebete der Menschheit, Graz/Wien/Köln : Verl. Styria 1998, S. 116.

Das Gebet der Pueblo-Indianer wurde zitiert nach Ebd, S. 88.

„Bewölkter Himmel“ wurde zitiert nach: Hesse, Hermann: Wanderung, Berlin : Insel Verl. 2015, S. 82.

10 Gedanken zu “„Segler der Lüfte“: Wolken in Wort und Bild

  1. Ganz wundervoll, Ilona. Herzlichen Dank für diese lyrische Interpretation in Kombination mit tollen Wolkenbildern und einem geschichtlichen Bezug. Dein Ansatz gefällt mir sehr. Und direkt das erste Bild ist ein Traum, diese Wolkenberge 🙂

    Sehr stimmig und einfach nur schön. Vielen Dank für deine Teilnahme.

    Liebe Grüße, Bee

    • Ich danke Dir für die Anregung durch die Blogparade!
      Mir gehts da wohl wie vielen anderen: Ich wollte längst mal was über Wolken machen, aber irgenwie fehlte mir der Aufhänger… Freue mich, dabei zu sein.

    • Na, meine Liebe zur Literatur muss ja irgendwie durchschlagen. Ich hab eh langsam Angst, ob mir die Reisefreunde abspringen, weil ich zu viel literarisches poste :-O

      Bin schon gespannt auf deinen Beitrag.

  2. Wieder wunderbar, deine Wolkenbilder – das von Ostia Antica hat mich förmlich umgehauen! Auch dazu hätte das Hesse-Zitat „Bewölkter Himmel“ wunderbar gepasst.
    Überhaupt – wie du Poesie mit poetischen Bildern verbindest – einfach nur schön!

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