Als ich jünger war – in meiner Sturm und Drang-Zeit sozusagen – hatte das Wort „Zufriedenheit“ einen negativen Beigeschmack. Es klang für mich nach „Sich zufrieden geben“, nach stehen bleiben, das Streben aufgeben und damit den Glauben daran, dass etwas besser werden konnte – dass es anders besser sein könnte.
Wie so viele emotionale, verträumte junge Leute, habe ich in meiner Jugend Gedichte geschrieben. Die meisten davon würde ich heute niemandem mehr zu lesen geben. Aber das letzte, das ich geschrieben habe, hieß „Fliegen“. Es begann mit den Worten: „Die Welt ist zu groß, um nur hier zu bleiben. / Das Leben zu kurz, um nur die Zeit zu vertreiben.“
Hier sprach die gerade 20jährige, die keinen Bock mehr auf ihre Geburtsstadt hatte. Die auf die Chance lauerte, endlich auszubrechen. Der Versuch, das gleich nach dem Abitur zu tun, war aus verschiedenen Gründen gescheitert.
In Dauerschleife lief damals Cat Stevens‘ „Father and Son (Link zu youtube)“:
„You will still be here tomorrow but your dreams may not“
„Now there’s a way, and I know that I have to go away. I know I have to go“
Dass es den Ausbruch nach dem Abitur noch nicht gegeben hatte, lag auch daran, dass ich damals noch nicht die Kraft und den Willen hatte, es allen Widerständen zum Trotz zu tun. Aber ich schmiedete meine Pläne!
Ich war noch da, aber meine Träume schon lange nicht mehr. Sobald sich eine Möglichkeit auftat, würde ich gehen. Das war mir damals klar.
Das Gedicht „Fliegen“ endete mit dem Vers:
„Ich werd‘ es [mein Leben] nicht verschwenden / mit Fügung in mein Schicksal statt Glück“
Ursprünglich stand hier „mit Zufriedenheit statt Glück“, denn Zufriedenheit hieß für mich damals eben sich in sein Schicksal fügen und damit seine Träume aufgeben.
Das Gedicht drückte mein Lebensgefühl damals aus. Es musste doch mehr geben als das hier! Ich wollte nicht zufrieden sein damit, ich wollte mich nicht zufrieden geben. Ich wollte mehr!
Wenn ich heute – mit Mitte 30 – über diese Worte nachdenke, dann denke ich, dass Zufriedenheit und Glück so nah beieinander liegen, dass ich mich frage, ob sie nicht sogar zwei Worte für dieselbe Sache sind. Es geht eben nicht darum, sich einfach zufrieden zu geben. Es geht darum, zufrieden zu SEIN. Und sich zu denken: So ist’s gut. So kann es jetzt eine Weile bleiben!
Eben nicht nur zum Augenblicke zu sagen „Verweile doch, du bist so schön!“ – denn solche Augenblicke hatte ich auch in unzufriedenen Zeiten – sondern zum grundsätzlichen Lebensgefühl.
Aber wie beim faustschen Augenblick frage ich mich auch hier, ob solche Zustände grundsätzlich überhaupt von Dauer sein können.
„Felicità. Su quale treno della notte viaggerai. Io so che passerai, ma come sempre in fretta. Non ti fermi mai“
(Lucio Dalla – Felicità auf youtube)
Auf der Suche nach dem Glück
Ich jedenfalls versuchte seit Jahren, diesen Zustand wieder zu erreichen. Zufriedenheit war ein Zustand, den ich anstrebte. Aber nach wie vor bin ich niemand, der sich so einfach zufrieden gibt.
Zuerst dachte ich, wenn ich aus Wien wegginge, mein Leben wieder neue Impulse bekäme, dann … ja dann… aber neue Impulse, die mein Leben wirklich weitergebracht hätten, kamen erst einmal nicht. Stattdessen strandete ich auf dem Land – und hasste es!
Die magische Formel hieß nun: Wenn ich nur erst mal wieder in der Stadt wäre…
Zum Glück dauerte mein Intermezzo auf dem Land nicht allzu lange und ich zog nach München. Neue Impulse kamen, langsam auch neue Menschen. Mein Leben wurde wieder besser. Aber gut? Dieses Gefühl von Zufriedenheit kam nicht. Zuvieles gab es, was mich an dieser Stadt ernsthaft störte, so dass ich gedanklich doch wieder auf gepackten Koffern saß. Vielleicht wartete das Glück ja doch wo anders? Dort, auf der anderen Seite des Zaunes, wo das Gras so viel grüner zu sein schien? Ich trauerte meinem sozialen Leben aus Wien nach, ich trauerte dem Wetter in Wien nach, ich trauerte den Wiener Öffis nach. Ach, wenn ich doch nur wieder in Wien wäre. Dann, ja dann…
Nun besitze ich zum Glück genug Selbstreflexion, um diesen Gedankenkreis zu bemerken. Und diesmal beschloss ich, mein Glück nicht anderswo zu suchen, denn offenbar half das nichts.
Ich begann, ein paar Veränderungen vorzunehmen in meinem Leben – und schleichend, schleichend tat sich etwas. Erst unbemerkt, aber es passierte etwas. Bis ich mich innerhalb der letzten Wochen ein paar Mal dabei ertappte, wie ich mir dachte: Ach ja, jetzt kann ich mal noch ein Weilchen bleiben.
Das Wetter ist immer noch scheiße, die Mieten zu hoch, die Öffis eine Katastrophe und ich vermisse meine Freunde aus Wien nach wie vor schmerzlich. Aber zum ersten Mal habe ich das Gefühl, hier irgendwie angekommen zu sein. Ich bin’s zufrieden.
Ich habe mir überlegt, woran das auf einmal liegt, dass dieses Gefühl in den letzten Wochen zu mir kam. Ich habe mir überlegt, was es ist, was mir Zufriedenheit und Glück verschafft. Und die grundlegende Antwort war: Eine Balance aus Aktivität und Ruhe, aus sozialem Leben und Zeit nur für mich. Aber natürlich geht es noch genauer:
Freunde
In meinem Italienischkurs gab es einmal das Thema „Felicità“. Im Italienischen gibt es – wie im Englischen auch – zwei Worte für Glück. Eines im Sinne von „Glück haben“ (Fortuna – bzw. im Englischen Luck). Eines im Sinne von „Glücklich sein“ (Happiness im Englischen. Im Italienischen eben Felicità.) Das erste, was mir damals dazu einfiel war: Amicizia. Freundschaft.
Soziales Leben heißt für mich: Zeit mit besonderen Menschen verbringen. Wahllos irgendwen treffen nervt mich. Aber alte und neue Freunde zu treffen, mit ihnen unterwegs zu sein oder sie zu mir einzuladen für einen gemütlichen Abend mit Kochen und einem Glas Wein und dabei gute Gespräche zu führen oder einfach nur mal wieder über den selben Blödsinn zu lachen wie früher, und auch neue Menschen zu treffen, mit denen man Spaß haben kann… Das ist wie ein Lebenselixier. Ich bin halt nun mal extrovertiert.
Zeit für mich und ein gutes Buch
Aber ich bin nicht nur extrovertiert, ich bin nebenbei auch noch HSPler. Eine ziemlich anstrengende Mischung, wie ich immer wieder feststelle, denn sie erfordert, eine Balance zu finden. Und diese Balance hatte ich in den letzten Wochen – auch wenn das bedeutete, auch mal eine Verabredung mit einem guten Freund auszuschlagen.
Nicht unerheblich war, mal wieder richtig in Bücher abzutauchen. Etwas zu lesen, auf das ich mich am Morgen schon freute, weil ich wusste, dass ich am Abend keine Verabredung hatte und mich voll und ganz meinem Buch widmen konnte. So komisch das klingen mag für jemanden wie mich, die man selten ohne Buch in der Tasche trifft: Dieses Gefühl hatte ich schon seit vielen Monaten nicht mehr.
Ausflüge, Reisen und Unternehmungen
Natürlich … dies darf hier nicht fehlen. Eine dieser Erkenntnisse, dass es schade wäre, demnächst von hier wegzuziehen, hatte ich während des Sommerfestes unseres Tanzvereins. Wir – mein Tanzpartner und ich – sind gar nicht so schlecht in der Zwischenzeit und ich hätte wahrlich keine Lust, jetzt wieder bei Null zu beginnen.
In den letzten Wochen war ich natürlich auch außerhalb Münchens unterwegs. Wandern und Radfahren im Wald und in den Bergen, alleine oder in Begleitung, und ein Wochenende mit einem alten Freund in Tschechien. Neuer Input, neue Eindrücke, neue Bilder. Und dazwischen – getreu dem Ratschlag, den mir meine Großmutter mitgegeben hat – auch mal einen Theaterbesuch. Auch das braucht es, zum Glücklichsein.
Dies waren also die Themen in meinem Leben in den letzten Wochen. Darüber kam mein Blog ein bisschen zu kurz. Trotzdem waren es auch zwei Beiträge auf anderen Blogs, die mich inspiriert haben, meine Gedanken hier noch einmal schriftlich festzuhalten. Einmal Andreas Gedanken zum Thema „Sommerglück – Zauber des Einfachen“ und einmal Paleicas Magisches Motto für Juli „Liebe„, für das man sich mit all dem auseinandersetzen soll, dass einem Freude bereitet. Ich habe das zwar nicht fotografisch getan, aber im Juli dafür wahrlich gut im „echten Leben“ umgesetzt.
Man muss halt berücksichtigen, dass man sich selbst überallhin mitnehmen muss, egal wie weit weg man fährt und wie anders das Leben dort auch sein möge
Das zu wissen und das wirklich zu erkennen, sind halt doch zwei Paar Schuhe
Ja, klar …..
Schöne Gedanken, meinen herzlichen Dank dafür. Tatsächlich ging es mir mit dem Wörtchen „Zufriedenheit“ genauso wie Dir: Anfangs negativ besetzt, jetzt ein erstrebenswerter Zustand, wenn’s denn, irgendwie, umfassend ist. Herzliche Grüße!
Danke Dir! Ich freue mich, dass Du deine Gedanken wieder erkennst.
Auf Facebook haben wir unter dem Artikel gerade die Diskussion, ob man davon reden kann, mit dem Ist-Zustand zufrieden zu sein, wenn man aber noch weitere Pläne und Ziele hat. Ich finde, ja! Denn das Planen und Träumen gehört für mich dazu, um zufrieden sein zu können.
Ein sehr schöner Beitrag! Hach, ja… in den Gedanken kenne ich mich auch SEHR GUT wieder. Ich brauche auch diese Balance zwischen Gesellschaft und Alleinesein zum Glücklichsein. Leider ist es in unserem Alter, wie ich finde extemst schwierig, neue Freunde zu finden und alte Freundschaften aufrechtzuerhalten. Gefühlt alle haben eine Familie gegründet und keine Zeit/keine Lust mehr, etwas zu unternehmen bzw. wenn dann nur mit Anhang und das ist meist extremst beschwerlich und unlustig…
Viele Grüße,
Heike // nordetrotter
Ach ja, das Problem kenne ich. Und ich sehe meine alten Freunde auch nicht so oft, aber der Kontakt ist nach wie vor da. Auch dass es schwer ist, neue Freunde zu finden…. Es hat ja auch jetzt zwei Jahre gedauert, bis ich mich hier angekommen fühlte…
Liebe Ilona, das sind sehr offene Worte! Gratuliere dazu!
Ich habe spätestens mit meiner intensiven Beshcäftigung mit dem Buddhismus erkannt, dass es kein Glück und auch keine Zufriedenheit geben kann, wenn man immern nur denkt „Ach, wäre ich doch jetzt dort oder dort…!“ Es ist wichtig, im Augenblick, im Hier und Jetzt zu sein, um glücklich und zufrieden zu sein. Dass ich das leider manchmal aus den Augen verliere liegt an meinen Depressionen. Das ist eine Krankheit, die man nicht so einfach durch positive Gedanken vertreiben kann.
Alles Gute
Ulrike
Ja, das ist wahr. Aber es zu wissen heißt noch nicht, es umsetzen zu können. Dazu braucht es doch Arbeit an sich selbst…
die magischen mottos sollen ja durch die fotografie eine inspiration sein, auch magische dinge im alltag zu erkennen, an denen man sonst einfach vorbeigegangen wäre. du hast den umweg über die fotografie eben ausgelassen, aber das große ziel ist ja auf jeden fall erreicht 🙂
father and son habe ich auch immer geliebt und tu es noch und diese gedankenspirale, oh wie ich sie kenne. „wenn erstmal die schule vorbei ist“. „wenn ich erstmal eine eigene wohnung habe“ „wenn ich erstmal in einer beziehung bin“ blablabla. nein, das hilft nicht, das leben passiert genau dazwischendrin und wenn man nicht aufpasst, rast es an einem vorbei und man hat es irgendwie einfach verpasst, weil man immer auf etwas gewartet hat.
„Es geht eben nicht darum, sich einfach zufrieden zu geben. Es geht darum, zufrieden zu SEIN.“ – der satz bleibt. das ist eine ganz wichtige essenz!
La Felicità ? Hm. Ach ja. Genau !
https://www.youtube.com/watch?v=7Z_XxNbCo44