Wähnen, glauben, lieben,
(Klaus Georg Nägel – Spruch auf einer Hauswand in Bullenheim und zum Motto dieser Tour und eigentlich aller Touren erklärt!)
sich erfreuen und betrüben,
bald sich wagen, bald besinnen,
oft verlieren, oft gewinnen,
auf der Bahn, wie sie gegeben,
dornig, rosig, holprig, eben,
zwischen Furcht und Hoffen schweben,
Traum mit Wirklichem verweben
doch wenn möglich vorwärts streben,
das ist eben Menschenleben.
Um es kurz zu machen: Sabine und ich sind der festen Überzeugung, dass der Kunigundenweg verflucht ist – oder dass zumindest irgendjemand etwas dagegen hat, dass wir ihn fahren. Aus unserer triumphalen Einfahrt in Bamberg wurde bis heute nichts, denn sobald wir auch nur planten, eine Teilstrecke des Kunigundenweges zu fahren, ging irgendetwas schief. Und so kann man die Geschichte unserer ersten längeren Tour auch als die Geschichte unseres großen Scheiterns bezeichnen. (Bilder folgen! Leider müssen sie erst noch gescannt werden, da alle noch analog waren.)
Na gut, wir geben zu, dass wir das Ganze etwas zu naiv angegangen waren – was wir allerdings eigentlich immer taten (wie bitte flickt man Fahrradschläuche?). Im Mai hatten wir die verrückte Idee gehabt, mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel fahren zu wollen. Und dafür wollten wir auf dem Kunigundenweg trainieren. Mit dem Fahrrad fuhren wir im Alltag sowieso ständig, also dachten wir, man steigt einfach auf und fährt los. Ganz so einfach war es leider nicht! Dass man auch Karten lesen können sollte und sowieso etwas Training braucht – darauf kamen wir natürlich nicht.
Und so fuhren wir mit viel Motivation und ohne jegliche Ahnung oder Vorbereitung in der zufälligerweise heißesten Woche des Spätsommers 2005 von Würzburg aus los.
Als Etappen hatten wir uns Folgende ausgesucht:
Würzburg-Aub / Aub – Bullenheim / Bullenheim – Markt Bibart / Markt Bibart – Burghaslach / Burghaslach – Burgebrach / Burgebrach – Bamberg
Das sollte eigentlich zu machen sein – glaubten wir! Aber weit gefehlt, denn wir wurden bereits auf dieser Tour mit so ziemlich allem konfrontiert, was einem das Radfahren vermiesen kann: Hitze, zuneige gehende Getränke, kleine fränkische Käffer ohne Einkaufsmöglichkeiten, fast unpassierbare Wege (schließlich war der Kunigundenweg eigentlich ein Wanderweg) und Umwege, weil irgendein Witzbold die Markierung verändert hat und uns mitten in ein Maisfeld lotste! Bereits am dritten Tag, dem 1. September 2005 (interessanterweise genau 4 Monate nachdem wir den Entschluss zur Radtour gefasst hatten) war die ursprüngliche geplante Tour beendet! Statt nach Markt Bibart führte uns unser Weg an diesem Tag nach Iphofen!
Bullenheim-Iphofen – ein Synonym für alles, was schiefgehen kann, sowie für Nervenzusammenbruch und totale Erschöpfung!
Von der Kunigundenkappelle über Bullenheim aus (von wo man einen sensationellen Blick ins Land hatte) wollten wir über Schloss Frankenberg fahren, da der eigentliche Kunigundenweg hier zu schmal und unwegsam für Fahrräder war. Wir fuhren allerdings nicht lange, denn da wir immer weiter in die Weinberge vorstießen, stiegen wir ziemlich bald ab und schoben und schoben und schoben und schoben. Irgendwann beschlossen wir, bei der nächsten uns bietenden Gelegenheit auf die Landstraße zu wechseln, da wir dort der Beschilderung folgen konnten, die in den Weinbergen natürlich völlig wegfiel. Außerdem wussten wir – als des Kartenlesens Unkundige – nie, auf welchem Weg in den Weinbergen wir uns befanden. Hätten wir es gewusst, hätten wir auch gesehen, dass wir gar nicht mehr so weit vom Schloss entfernt waren! Sobald es möglich war, bogen wir also ab und fuhren rechts den Berg hinab, um auf die Straße zu kommen. Als wir mit Schrecken feststellten, dass wir schnurstracks nach Bullenheim zurückfuhren, um nach zwei Stunden wieder am Ausgangsort anzukommen. Dieser Blöße entgingen wir, in dem wir uns einfach einmal quer durch die Weinberge kämpften.
Auf der Landstraße war es natürlich einfacher, Schloss Frankenberg zu finden. Allerdings mussten wir nun erneut fast 4 km lang den Berg hinaufstapfen, den wir gerade erst herabgefahren waren, nachdem wir ihn zuvor schon erklommen hatten. Sabine hatte beim Schieben auf den Frankenberg ihre Tiefstphase. Sie sah aus, als würde sie am liebsten ihr Fahrrad in den Graben schleudern, das nächste Auto anhalten und sich nach Bamberg bringen lassen. Mich brachte nur noch der Gedanke an den Spruch aus Bullenheim voran, den ich unablässig vor mich hinmurmelte: „Doch wenn möglich vorwärts streben…“ Noch war es möglich, also stapfte ich weiter. Endlich oben setzten wir uns erst einmal und tranken etwas. Hier, im Schatten von Schloss Frankenberg, völlig ausgelaugt, völlig durchgeschwitzt und völlig frustriert fassten wir einen Entschluss: Wir würden es niemals bis Bamberg schaffen. Es war zu heiß und wir zu unerfahren und zu untrainiert. Wir beschlossen eine Routenänderung mit enorm verkürzten Tagesetappen: Nach Norden abbiegen, um in zwei Tagesfahrten nach Kitzingen zu gelangen, von wo wir mit den Zug nach Bamberg zurückkehren wollten.
Doch auch dieser Plan wurde uns vereitelt. Die Strecke nach Markt Einersheim, die wir uns ausgesucht hatten, war wegen einer Baustelle gesperrt, so dass wir erneut gezwungen waren, die gut ausgeschilderte Landstraße zu verlassen – was wir doch nicht mehr hatten tun wollen! Wir wollten nun also auf anderem Wege nach Iphofen, dem Nachbarort Markt Einersheims, gelangen. Das Schild „Iphofen 2 km“ machte uns Mut und trieb uns voran. Nun konnten wir also endlich unter die Dusche… Denkste!
Die Straße gabelte sich – in beide Richtungen ging es nach Iphofen. Rechts jedoch für LKWs gesperrt, geradeaus waren sie zugelassen. Ich rief Sabine noch zu, dass ich keine Lust hätte, eine LKW-Straße zu benutzen, doch Sabines Entscheidung war bereits gefallen, als sie sah, dass die LWK-freie Straße bergauf, die andere allerdings bergab führte! Also fuhren wir gerade aus und schmetterten – wie es bei uns gute, wenn auch neubegründete Tradition war beim Einfahrt in ein Etappenziel – unser „Kleines Senfkorn Hoffnung“ in den Fahrtwind. Iphofen wir kommen! Oder auch nicht… denn die Straße mündete in die B8, stark befahren, v.a. von LKWs und noch dazu ziemlich unübersichtlich! Uns zur Rechten sahen wir Iphofen, zum Greifen nah, wie es schien. Aber wir kamen nicht hin! über die Bundesstraße? Heute würden wir es einfach wagen – damals taten wir es nicht. Nicht bei diesem Verkehr! Den ganzen Berg wieder nach oben? Das hätten wir wohl nicht mehr geschafft! Unsere Kräfte waren am Ende – und unsere Nerven auch. Hier hatte ich meine Tiefstphase und überlegte schon, ob wir von hier wohl jemals wieder wegkämen. Der Versuch, nicht auf sondern neben der Straße, also im Straßengraben, nach Iphofen zu gelangen, scheiterte, da uns plötzlich ein großer Erdhaufen, der wohl von der Baustelle im anliegenden Gipswerk stammte, den Weg versperrte. In diesem Moment, eingekesselt zwischen Erdhaufen, Berg und Bundesstraße verlor ich dann die Nerven und hasste Sabine nicht wenig für ihren voreiligen Entschluss, der LKW-Straße zu folgen! Aber auch Sabine jammerte: „Und wir haben schon ‚Kleines Senfkorn Hoffnung‘ gesungen!“
Das Gipswerk schien unsere einzige Rettung zu sein – und ganz sicher war es unsere einzige Hoffnung. Wir fragten einen LKW-Fahrer an der Werkseinfahrt, ob man über das Gelände in den Ort gelangen könnte. Jaja, da könnte man hindurch, antwortete er. Also stapften wir los. Wir wunderten uns schon ein wenig, dass uns niemand aufhielt, als wir durch die Großbaustelle gingen – alle sahen uns nur etwas seltsam an – als wir plötzlich einen gellenden Pfiff hörten und ein wild gestikulierender Mann auf uns zueilte. „Na, die Damen. Wo wollen wir denn hin?“ – „Nach Iphofen“, war unsere kleinlaute Antwort. „Man hat uns gesagt, wir könnten hier durch.“ – „Tja, wer auch immer das gesagt hat – er war sicher nicht der Oberbauleiter. Das bin nämlich ich!“ Er erklärte uns, dass wir hier nicht durchkönnten, da es zu gefährlich wäre wegen der vielen Baufahrzeuge. Allerdings half er uns sehr freundlich, einen anderen Weg nach Iphofen zu finden. Wir mussten einen erbärmlichen Anblick geboten haben, verschwitzt, grau vor Staub, entkräftet und verzweifelt, denn er fügte hinzu: „In Iphofen gibts auch ne gute Eisdiele!“ (die Eisdiele war übrigens wirklich gut! Falls der Oberbauleiter das hier einmal lesen sollte: Danke für den Tipp! Und natürlich auch DANKE für die Hilfe!)
Dank seiner Hilfe und mit letzter Kraft erreichten wir Iphofen, nachdem wir die B8 an etwas übersichtlicherer Stelle überquert und einen abgeernteten Kartoffelacker durchschritten hatten. Wir fanden schließlich auch ein schönes Gasthaus, das von einem Holländer geführt wurde und in dem es angeblich die besten Matjes weit und breit gab. Die anderen Hausgäste (allesamt Motoradfahrer) waren wirklich nett, fanden unsere Tour-Abbruchpläne allerdings sehr erheiternd. Gleichzeitig erzählten sie aber, wie anstrengend es doch gewesen sei, bei dieser Hitze mit dem Motorrad herumzufahren (hahaha…).
Der letzte Tag der Tour führte uns nur ins etwa 15km entfernte Kitzingen. Auf dem Weg besuchten wir den Judenfriedhof bei Rödelsee und das Wasserschloss derer von Crailsheim in Fröhstockheim, bei dem es aus irgendeinem Grund weit und breit kein Wasser gab. In Kitzingen angelangt gingen wir erst einmal essen. Nachdem wir am letzten Tag bereits klassische Erschöpfungssymptome gezeigt und nicht einmal mehr zum Essen Kraft gefunden hatten, gönnten wir uns jetzt ein Schnitzel, das uns noch immer als das beste Schnitzel unseres Lebens in Erinnerung ist. Nach diesem Eiweiß- und Kohlehydrate-Schub schleppten wir uns mit den letzten Resten unserer Kraft durch die Kitzinger Innenstadt, bevor wir am Nachmittag in den Zug stiegen und nach Bamberg fuhren – zugegebenermaßen etwas weniger eindrucksvoll, als triumphierend in Bamberg einzufahren, wie wir es uns in unserer Phantasie ausgemalt hatten!
Immerhin hatten wir trotz – oder gerade wegen – aller Katastrophen furchtbar viel Spaß auf dieser Tour. Wenn wir während dieser Tage eines gelernt haben, dann den Unterschied zwischen Urlaub machen und Reisen. Reisen war auf jeden Fall das Spannendere und wir waren auch noch nach dieser Tour ganz sicher, dass wir irgendwann einmal zum Mont Saint Michel radeln werden – auch wenn wir dafür noch viel Übung vor uns hatten. (Und vielleicht kann Sabine bis dahin ja dann auch ein anderes Kirchenlied als „Kleines Senfkorn Hoffnung“)
Dieser Beitrag passt doch perfekt zur Blogparade „Reisepannen“ 😉
Was für ein schöner Bericht! Und am schönsten finde ich, dass diese Tour trotz aller Widrigkeiten „die Liebe zum Radfahren für immer begründete“. Ich bin letzten Sommer mit meinen drei Kindern ähnlich naiv zu einer mehrtägigen Radtour gestartet, aber bei uns lief alles rund. Und vor allem schön langsam …
Auf meinem Blog sammle ich jeden Monat alles rund ums Fahrrad, da darfst du diesen Beitrag gern verlinken – ich würd mich sehr freuen! Schau mal hier
Ganz liebe Grüße
Christiane
Vielen Dank, Christiane. Ja, bei uns lief gar nichts rund, wie du gelesen hast. 😀 Aber im Rückblick war es ein echtes Abenteuer. von den erfolgreicher verlaufenen soll hier auf dem Blog auch noch die Rede sein. Leider sind viele Bilder dazu noch analog und müssen erst gescannt werden 🙂 Über eine Verlinkung freue ich mich natürlich immer sehr!
Oh, da freue ich mich auf weitere Berichte – und gern auch weitere Verlinkungen 🙂
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Ein schöner Bericht und ein interessantes Blog übrigens, wo ich in der nächsten Zeit in Ruhe stöbern werde. Schön, dass ihr trotz aller Widrigkeiten auf dieser Tour beim Radwandern geblieben seid. 🙂 Manchmal hilft es einem übrigens auch nichts, wenn man eine gute Karte hat und sie lesen kann, wie wir diesen Sommer in Schleswig-Holstein feststellten. Dort sind sie mit den Schildern nämlich manchmal etwas sparsamer als nötig, und wenn man in der Pampa zwischen Kornfeldern steht nur ganz grob eine Ahnung hat, wo man sein könnte, hilft manchmal nur nach Gefühl fahren und das Beste hoffen. Und an der irischen Westküste haben wir gelernt: Im ersten Supermarkt auf dem Weg einkaufen, man weiß nie, ob und wann der nächste kommt. Aber solche Erlebnisse sind wirgendwie auch das Salz in der Suppe beim Radwandern.
Danke für die Blumen 🙂
In der Normandie haben wir ähnliches erlebt. Einmal hatten alle Supermärkte zu – einfach so, unter der Woche. Wir wissen bis heute nicht, warum. Hätten wir doch mal am Abend vorher schon was gekauft, wie wir es eigentlich vorgehabt hatten – aber dann halt doch zu faul waren. tja… das hat sich gerächt.
Und das mit der Karte hat sich auch gezeigt – wir hatten eine Michelinkarten, aber einige der Sträßchen, die wir gefahren sind, waren dort gar nicht eingezeichnet. Als sehr gute Mischung hat sich eine Karte für den Überblick und ein GPS-Gerät für die Details erwiesen 🙂
Huhu Ilona,
auweia. Da wäre ich auch der Verzweiflung nahe gewesen 🙂 Aber jetzt habt Ihr wenigstens eine Erinnerung über die Ihr herzhaft lachen könnt. Im Nachhinein ist sowas ja immer lustig.
Sabine
Ja, die Situationen, die im Augenblick des Erlebens die Schlimmsten sind, sind im Nachhinein die schönsten und lustigsten Geschichten, die man immer wieder aufs Neue erzählt 😉
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