Reisen bildet und macht selbstbewusster. Das ist fast schon ein Allgemeinplatz.
So viele Dinge habe ich auf Reisen – ganz besonders, aber nicht nur, auf Solo-Reisen – gelernt.
Ich habe bei z.B. meinen Radtouren gelernt, Karten zu lesen. Ich habe gelernt, die Himmelsrichtungen zumindest grob auch ohne Kompass zu bestimmen. Ich habe viel über mein Land und meine Kultur gelernt und häufig festgestellt, dass ich mich glücklich schätzen kann, im Hier und Jetzt zu leben. Ich habe auch viel über mich selbst gelernt: Wann komme ich an einen Punkt der Erschöpfung, wann brauche ich eine Pause? Aber auch, wie viel Kraft man hat, doch noch weiter zu machen, wenn es sein muss, auch wenn es scheinbar zu viel wird und dass es immer einen Weg gibt, auch wenn man ihn gerade nicht sieht. Diese Dinge machen einen selbstbewusster.
Aber auch ganz konkret kann Reisen das Ego pushen – das habe ich bei meinem Sprachaufenthalt in Florenz gelernt. Denn von dort kam ich als völlig veränderter Mensch wieder – auch wenn diese Veränderung für meine Familie und Freunde vielleicht gar nicht so offensichtlich war.
Mein wunder Punkt
Es war Frühjahr 2009. Die Magisterarbeit war abgeschlossen und auch die letzten Prüfungen sollten bald geschafft sein. Für die Zeit „danach“ – nach dem Studium – hatte ich eine Reise geplant. Eine Reise, von der ich schon lange träumte. Etliche Jahre zuvor nahm ich nebenbei in der Uni einen Flyer mit: Sprachkurse in Florenz. Ach ja, so etwas würde ich gerne einmal machen.
Mit dem Italienisch lernen hatte ich bereits begonnen: Einmal in der Woche 90 Minuten, ganz klassisch. Aber besonders erfolgreich war ich dabei nicht. Die Grammatik saß so halbwegs, aber sprechen? Das war ein Fiasko! Ich brachte keinen geraden Satz heraus. Und wenn jemand mit mir Italienisch sprach, war ich völlig verloren.
Ich war schon in der Schule in Englisch eher gutes Mittelmaß und in Französisch und Latein eine Niete gewesen. Ich war einfach nicht besonders sprachbegabt, das stand für mich fest.
Möglicherweise klingt das nicht so tragisch, wenn ich es hier schreibe, aber dies war wirklich mein wunder Punkt – es hat mein Selbstbewusstsein sehr geschwächt und ich war oft am Boden zerstört, wenn ich mal wieder jemanden kennen lernte, der mehrere Fremdsprachen fließend beherrschte.
Aber ich liebte Italien und hatte mein Herz an die italienische Sprache verloren, deshalb wollte ich sie so gerne beherrschen. Nach ungefähr vier Semestern Sprachkurs waren meine praktischen Fähigkeiten aber immer noch bei Null.
Also schloss ich mit mir selbst ein Abkommen: Ich würde nach dem Studium für vier Wochen nach Florenz gehen. Sollte ich danach noch immer nicht in der Lage sein, Italienisch zu sprechen, würde ich sämtliche Fremdsprachen an den Nagel hängen und nie wieder versuchen, eine zu erlernen.
„Wenn man ins kalte Wasser gestoßen wird, muss man einfach schwimmen“
Das war also die Ausgangssituation, als ich Ende März 2009 nach Florenz aufbrach. Ich war schrecklich aufgeregt. In gewisser Weise hatte ich mir ja selbst die Pistole auf die Brust gesetzt. „Deine letzte Chance! Entweder Du schaffst es jetzt oder Du lässt es bleiben!“ Ich würde niemals ein Sprachentalent werden, da war ich sicher. Aber diesmal wollte ich es versuchen.
„Wenn man ins kalte Wasser gestoßen wird, muss man einfach schwimmen!“, sagte eine Freundin damals. Und so traf ich vor allem eine Vorkehrung: Besuchsverbot aus Deutschland, denn ich wollte kein Deutsch sprechen. Ich wollte mich zwingen, ausschließlich auf Italienisch zu kommunizieren.
Das Problem war nur: Ich sprach ja eigentlich gar kein Italienisch! Mi chiamo Ilona, sono tedesca. – Non lo so. – Berlino è la capitale della Germania. – Ho prenotato una camera doppia… damit kam ich nicht besonders weit.
Ich würde mir eine Wohnung mit anderen Studenten teilen – waren das Italiener? Oder andere Sprachstudenten? Sprachen die überhaupt gut Italienisch? Und was tat ich, wenn sie nur Italienisch sprachen, wo ich doch so gut wie nichts verstand? All diese Fragen gingen mir unablässig durch den Kopf und als ich nach elf Stunden Zugfahrt in der Wohnung ankam, wurde ich von einem älteren Herrn begrüßt, dem Vermieter. Eine meiner neuen Mitbewohnerinnen war auch schon da – eine junge Griechin, die mich gleich fließend auf Italienisch begrüßte. Kurz darauf kam die zweite Mitbewohnerin zur Türe hereingeschneit: Eine temperamentvolle Spanierin, die das Italienische nur so herunterrasselte.
Alle unterhielten sich prächtig und ich saß dazwischen, war todmüde, irrsinnig aufgeregt und verstand nur einen Bruchteil. „Capisco – ma non so parlare italiano“ – Ich verstehe, aber ich kann kein Italienisch sprechen – wiederholte ich unablässig. Denn es war das einzige, was mir einfiel. Die Idee, mich mit einem „Sono stanca“ – Ich bin müde – schnell zu verabschieden und erst mal zurückzuziehen, ließ sich nicht so einfach umsetzen. Und so saß ich da und mir war kalt und heiß. Was für eine Scheißidee mit meinem mangelnden Sprachtalent einen Sprachkurs in Italien machen zu wollen.
Und so schwamm ich im kalten Wasser…
Nach zwei Wochen träumte ich auf Italienisch.
Meine beiden Mitbewohnerinnen waren Gold wert. Beide sprachen fließend Italienisch und hatten eine Engelsgeduld, mir beim Lernen zu helfen. Sie erklärten mir die Grammatik und hielten mir ein ums andere Mal scherzhaft einen Teelöffel und einen Esslöffel vor die Nase „Na? Wie heißt das?“ bis ich irgendwann endlich „Cucchiaino“ und „Cucchiaio“ unterscheiden konnte. Wenn es irgendetwas Komplizierteres zu klären gab (etwa die Abrechnung des Einkaufs), dann sprachen sie mit mir Italienisch und ich antwortete auf Englisch – aber auch nur zu Beginn. Bald war das nicht mehr nötig. Es war nicht einmal mehr möglich, denn ich bekam bald keinen englischen Satz mehr heraus, da ich ständig die italienische Grammatik anwandte.
Meine Taktik jeder deutschen oder englischen Unterhaltung soweit nur möglich aus dem Weg zu gehen und mich selbst zum Italienisch sprechen zu zwingen brachte zwar manche peinliche Situation (etwa als ich in der Apotheke lautmalerisch eine Brausetablette imitierte), führte aber letztendlich zum Erfolg. Und zwar nicht nur für mich.
Nach zwei Wochen zog eine vierte Mitbewohnerin ein – eine Deutsche, deren gesamtes Italienischwissen aus einem Selbstlernkurs stammte. Gleich zu Beginn erklärte ich ihr, dass ich eigentlich kein Deutsch sprechen wollte. Sie war damit einverstanden. Schließlich, so sagte sie, sei sie hier, um Italienisch zu lernen. Ich sprach von nun an mit ihr Italienisch, sie antwortete auf Englisch, bis sie nach wenigen Tagen begann, erste italienische Sätze selbst zu bilden. Als ich abreiste war sie die Beste in ihrem Anfängerkurs, sie war nämlich die einzige, die permanent Italienisch hörte und auch – nach ihren Möglichkeiten – sprach.
Auf der Rückfahrt traf ich im Zug zwei Deutsche, die ebenfalls einen Sprachkurs am Istituto absolviert hatten. Eine hatte schon etwas Italienisch gesprochen, die andere keinerlei Vorkenntnisse. Beide waren befreundet, teilten sich ein Zimmer und unterhielten sich die ganze Zeit auf Deutsch. Sie beklagten sich, die Schule sei schlecht gewesen – die Anfängerin könne noch immer nicht italienisch sprechen!
Ein Schule kann noch so gut sein – aber man muss sich halt wirklich darauf einlassen. Viel wesentlicher als der Unterricht war für mich, ins kalte Wasser gestoßen zu werden. Alleine in ein Land zu fahren, dessen Sprache ich lernen wollte. Mich zu zwingen, mein Tagebuch in dieser Zeit auf Italienisch zu führen, egal ob das bedeutete, dass ich einen großen Teil meiner Gedanken nur in grammatikalisch höchst fragwürdigen Sätzen zu Papier brachte. Und noch mehr, mich zu zwingen, Italienisch zu sprechen, wie peinlich es auch sein mochte.
Seither weiß ich, dass ich jede Sprache lernen kann, wenn ich nur will – und das sogar in einem relativ kurzen Zeitraum. Und ich bin mir seither sicher, dass ich alles bin, aber sicher keine Niete im Sprachenlernen.
Dieser Artikel war ursprünglich Teil einer Reihe „Veränderung auf Reisen“ auf dem Blog Travelisi. Leider fiel ihr Blog der DSGVO zum Opfer und wurde geschlossen. Da ich diese Geschichte aber nach wie vor gerne mag und erzähle, stellte ich sie noch einmal bei mir online.
Ich nehme mit diesem Artikel an der Blogparade von „The Road Most Traveled“ teil, zum Thema „Auslandssemester, Au-Pair Aufenthalte, Work & Travel und Co.„.
Liebe Ilona,
was für eine tolle Geschichte. Deine Erfahrungen regen wirklich zum Nachdenken an. Ich lerne schon seit ein paar Jahren auf eigene Faust Spanisch und habe mich nie getraut auf eine Sprachschule zu gehen. Dein Bericht ist eine tolle Anregung. Vielen Dank dafür.
Viele Grüße,
Tanja
Ich kann aus meiner Erfahrung heraus – und das wirst du dir jetzt denken können – nur sagen: Wenn du die Sprach auch wirklich sprechen können möchtest, fahr ins Land. Und dann eiskalt durchziehen 😀
Freu mich, wenn dir der Bericht gefallen hat 🙂
Pingback: Round-Up: Auslandssemester, Au-Pair Aufenthalte, Work & Travel und Co. – The Road Most Traveled
Vielen Dank für die Teilnahme an der Blogparade/dem Round-Up.
Es ist immer spannend in Länder einzutauchen, deren Sprache man nicht spricht.
Und da ist die Aufregung natürlich gewaltig.
Schön, dass es dir so viel gebracht hat. Toller Beitrag!
Herzliche Grüße <3
Michelle
Ein Sprachkurs in Florenz steht schon seit Eweigkeiten auf meiner Bucket List. Wie hat es Dir denn generell gefallen und konntest Du deinen Sprachurs empfehlen? Welches Institut war das? Liebe Grüße Claudia
Hallo Claudia,
Ja, ich kann es rundheraus empfehlen, ohne Einschränkung. Das war das Istituto Italiano. Ich war dieses Jahr noch mal bei einem Sprachkurs in Sorrento, Sant‘ Anna Institute, und ich muss sagen, dass ich das Istituto in Florenz tatsächlich etwas besser fand – gerade für Anfänger, die noch nicht so flüssig sprechen. Denn dort war ALLES auf Italienisch, ausnahmslos. Auch die Exkursionen. Während in Sorrento das Institut leider sehr auf Kooperationen mit den USA eingestellt war und damit Exkursionen englischsprachig waren – was ich völlig sinnfrei finde.
Der Unterricht sonst war auch gut in Sorrento, aber wäre ich nicht schon fließend gewesen, wäre es mir schwerer gefallen dort.
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Liebe Ilona
Ich konnte mich in dich hineinversetzen, da ich 2014 einen 4-wöchigen Sprachaufenthalt in Rom gemacht hatte. Ich konnte zwar schon ziemlich gut Italienisch sprechen, aber meine Grammatik war nicht so sattelfest. Ich habe mir jedoch vorgenommen ein B2 Diplom zu machen und war mir nicht sicher, ob ich die Examen auch bestehen würde (v.a. der Grammatikteil bereitete mir Kopfschmerzen). Auch ich habe mir vorgenommen, so wenig Deutsch wie möglich zu sprechen und habe deshalb meine Unterkunft bei einer Gastfamilie gewählt. Es war eine wundervolle Zeit und ich habe unglaublich viel gelernt! Ich habe mich nun ein neues Sprachabenteuer gestürzt und lerne Usbekisch. Nicht gerade einfach, da es sehr wenig Lernmaterial gibt. Deshalb habe ich mich entschieden ein paar Monate bei einer Familie zu wohnen. Und hier in Samarkand erging es mir wie dir in Florenz.
das ist genau anders rum als bei mir. Die Grammatik ging damals eigentlich, aber das Sprechen bereitete mir Kopfzerbrechen.
Aber schön, dass du meine Eindrücke bestätigen kannst 🙂
Viel Glück beim Usbekisch lernen. Ein paar Wochen in Samarkand stell ich mir schon spannend vor. Obwohl ich da wohl verhungert wäre, nachdem ich das Essen dort nicht vertragen habe 😀
Ich hab mir ja vorgenommen, irgendwann noch mal Französisch in Angriff zu nehmen. Aus der Schulzeit sind nur noch rudimentäre Reste vorhanden.
Hallo Ilona,
ich kann so gut nachvollziehen, was Du zum Thema „Sprachkurs“ und „Selbstvertrauen“ geschrieben hast.
Ich war im September 2009 nach meinem Studium für vier Wochen an einer Sprachschule in Rom – Anfängerniveau. Ich hatte es nie für möglich gehalten, innerhalb so kurzer Zeit eine Sprache „so gut“ lernen zu können. Nach meiner Rückkehr besuchte ich kurzzeitig den Fortgeschrittenenkurs an der VHS und war den anderen Kursteilnehmern, welche seit Jahren dabei waren, mindestens ebenbürtig. Eine für mich wirklich unglaubliche Erfahrung. Allerdings muss man es auch mit aller Kraft wollen, die neue Sprache lernen. So schlage ich bis heute fast jedes italienische Wort nach, was mir unbekannt ist.
Seltsamerweise könnte ich mir heute nicht mehr vorstellen, all das alleine zu machen, was ich damals alleine unternommen habe – gefühlt jedes Kunstmuseum, Kirchen und die sonstigen Sehenswürdigkeiten zu besichtigen – immer alleine. Auf jeden Fall hat sich eine so starke Verbindung zu Rom entwickelt, dass die Stadt für mich immer Sehnsuchtsort Nummer 1 bleiben wird, wahrscheinlich gerade deshalb, weil ich mich zu 100% auf die Stadt und die Römer eingelassen habe und schnellstmöglich selbst zu einem werden wollte. Der Ritterschlag kam dann auch, als ich auf der Straße von einem TV-Team zu einem kommunalen Thema angesprochen wurde und erklärt hatte, dass ich Deutscher bin und nur für ein paar Wochen an einer Sprachschule sei. Der zunächst ungläubige Blick der Reporterin ist mir nach wie vor das größte Lob überhaupt – auch wenn es wahrscheinlich nur der Bruchteil einer Sekunde war.
Hallo Erich… ich kann so gut nachvollziehen, was du schreibst! Mir geht es mit Florenz auch bis heute so. Florenz hat einen besonderen Platz in meinem Herzen behalten – aus rein nostalgischen Gründen. Es war einfach DIE Stadt, in der ich Italien lieben lernte.
Und auch deine Freude, für einen Italiener gehalten zu werden, verstehe ich. Ich spiel das Spiel heute noch gerne: Große Sonnenbrille auf, Handtasche leger über die Schulter und dann mit diesem ganz bewussten federnden Gang die Straße entlang. Solange ich nix sage, denkt jeder, ich sei eine Einheimische. Touristen fragen mich dann gerne nach dem Weg- und zumindest die kapieren es auch nicht, wenn ich ihnen auf Italienisch den Weg erkläre. Oft freuen die sich dann, dass sie mit mir ein paar Worte Italienisch gewechselt haben 😀 😀
Mein größtes Erfolgserlebnis war, als ich mal einen Souvinrshop in Sorrento betrat und „buona sera“ grüßte. Der Besitzer grüßte, wohl gewohnheitsmäßig, auf englisch zurück. Seine Frau nebendran rollte mit den Augen und sagte zu ihm: „Ma… lei è italiana!“