#9 „Urlaub vom Urlaub“ im wunderschönen Bayeux

Mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel, Teil 9
Die bisher erschienen Artikel über unsere Normandie-Reise:
#1: 716km durch die Normandie
#2: Der Weg ist das Ziel – oder so
#3: Normannischen Boden unter den Rädern. Ankunft in Rouen
#4: Verfallene Größe und idyllische Landstraßen. Mit dem Rad durch’s Seinetal
#5: Vom Seinetal an die Blumenküste. Klangvolle Namen, Geisterstädte und saftige Wiesen
#6 Lisieux. Ein fauler Tag mit dem Segen der heiligen Thérèse
#7 Kühe, Käse, Calvados – Mit dem Fahrrad durchs Pays d’Auge
#8 Von Falaise durch die Normannische Schweiz nach Caen

Der Tag begann mit Sonnenschein und so konnten wir nach dem vorherigen verregneten Abend zumindest noch einen Blick auf die angestrahlte Abbaye aux Hommes in Caen werfen.
Sage und schreibe 1,5 Stunden brauchten wir, bis wir uns aus Caen herausgekämpft hatten. Mit dem Auto geht das schneller – Städte sind eben für Autos angelegt. Wenn man aber nicht den Hauptstraßen folgen wollte, musste man an jeder Straßenkreuzung erneut seine Karte zücken. Die Stadt mag neu aufgebaut worden sein – die Straßenführung mutet nach wie vor höchst mittelalterlich an.

Mal wieder entspannt durch die Pampa

Zwischen Caen und Bayeux

Doch dann hatten wir es geschafft. 42 entspannte Kilometer lagen nur vor uns und es ging immerzu gemächlich in der Ebene dahin. Landschaftlich machte die Strecke nicht allzu viel her – da mussten wir dem Schotten aus Falaise mal wieder Recht geben! – aber es tat uns gut, so entspannt eben dahin zu radeln. Ohne unsere Erfahrungen mit den Hügeln im Pays d’Auge hätten wir uns hier sicher über den Gegenwind beschwert.

Von Ort zu Ort fuhren wir, einer entzückender als der andere mit wunderschönen Steinhäusern. Ein paar Blumen davor, Geranien oder Rosen, und schon wirkte das alles irrsinnig pittoresk. Was entgeht einem doch, wenn man nur über Bundesstraßen und Autobahnen dahinbraust!
Schon Rots, gleich westlich am Ortsausgang von Caen, wirkte wie Mittelalter pur. Es hätte mich sehr interessiert, wie alt die Häuser tatsächlich waren.

Rots

Der erste Eindruck von Bayeux trügt

Unser erster Eindruck von Bayeux, als wir in die Stadt hineinradelten, war nicht der Beste. Obwohl ich gar nicht mehr sagen könnte, woran das lag, aber wir rümpften beide erst einmal die Nase.
Bald besserte sich aber unsere Meinung, nachdem wir uns im wunderschönen, zentral gegenüber von Rathaus und Kathedrale gelegenen Hotel „Reine Mathilde„*) einquartiert hatten. Hier wollten wir zwei Nächte bleiben; „Urlaub vom Urlaub“ nannten wir das scherzhaft. Aber tatsächlich war es sehr entspannend, mal nicht gleich wieder packen und weiterfahren zu müssen.

Am Abend, nach einem für französische Verhältnisse sehr frühen Abendessen, bummelten wir durch die Altstadt. Unser erster Eindruck von Bayeux wurde vollständig revidiert, denn das kleine Städtchen (ca. 14.500 Einwohner) ist die einzige(!) normannische Stadt, die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Das grenzt an ein Wunder, wenn man sich ihre Lage ansieht. Unweit der Küste und zwischen Caen und St. Lô gelegen, die beide regelrecht dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Der berühmte Teppich von Bayeux

Harold'sFealty

Harold leistet Wilhelm dem Eroberer den Lehenseid

Unser ganzer Tag stand erst einmal ganz im Zeichen des berühmten Teppichs – der eigentlich gar keiner ist, weil er nicht geknüpft, sondern gestickt wurde.
Im „Centre Guillaume-le-Conquérant“ ist er in seiner ganzen 68,38 m langen und 50 cm breiten Pracht aufgehängt und erzählt die Geschichte der normannischen Eroberung Englands.
In der Französischen Revolution wäre das Prachtstück fast zerstört worden. Ein Stadtrat von Bayeux verhinderte gerade noch, dass es als Wagenplane missbraucht wurde. Kurz darauf wurde noch rechtzeitig verhindert, dass der Teppich in Stücke geschnitten und als Dekoration genutzt wurde. Es ist ein Wunder, dass dieses über 1000 Jahre alte Textil bis heute überdauert hat.
Als Bayeux am 7. Juni 1944 als erste Stadt Frankreichs befreit wurde, lag der Teppich sicher verwahrt in den Kellern des Pariser Louvre und kam erst 1948 wieder nach Bayeux zurück.

Und so ist es auch heute noch möglich, fasziniert und beeindruckt vor diesem ein Jahrtausend alten Kunstwerk zu stehen, von dem man schon im Englischunterricht so viel gehört hat.
Lediglich der erläuternde Audioguide schmälerte den Genuss, da er die Erklärungen viel zu schnell herunterspulte und man nicht einmal Pause drücken konnte.

D-Day und Kathedrale

Am Nachmittag besuchten wir den britischen Soldatenfriedhof (von dem ich an anderer Stelle mehr berichtet habe) und anschließend trennten wir uns. Sabine besuchte das Museum „Memorial Bataille de la Normandie“ und ich widmete mich noch einmal ausgiebig der Kathedrale von Bayeux, dem ursprünglichen Ausstellungsort des Teppichs.

Von allen großartigen Kirchen, die wir in der Normandie gesehen haben, war die Kathedrale von Bayeux meiner Meinung nach die Schönste. Sie wirkte erhaben und dennoch irgendwie leichter und verspielter als alle anderen bisher.

Harolds Lehenseid: dargestellt in der Kathedrale

1077 geweiht wurde sie – wie auch der Teppich von Bayeux – von Bischof Odo von Bayeux, dem Halbbruder Wilhelms des Eroberers, in Auftrag gegeben und weist etliche sehr interessante Details auf: u.a. findet sich unter den Reliefs des Langhauses auch eine Szene des Teppichs von Bayeux wieder, nämlich der Lehnseid des Harold, des letzten angelsächsischen Königs von England, den dieser bekanntlich später brach, was zur normannischen Eroberung der Insel führte.

Nach der Besichtigung und Fotorunde (mehr Bilder unten) setzte ich mich gleich schräg gegenüber in das fröhlich-bunte Teehaus „Chez Paulette„, wo ich kurz darauf Sabine wieder traf.

Bayeux war für mich eines der Highlights der Tour. Ein wirklich schönes Städtchen und wir waren beide der Ansicht, dass eher ihm als Pont Audemer die Bezeichnung „normannisches Venedig“ zustehen würde.Ich kann nur empfehlen, bei einer Normandie-Reise in Bayeux einzukehren, zu Teppich und Kathedrale, zum Hotel Reine Mathilde* und zu den freundlichen Menschen im Teehaus Chez Paulette. In Bayeux stimmte einfach irgendwie alles.

 

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Alle bisher erschienenen Artikel über unsere Normandie-Reise:
#1: 716km durch die Normandie
#2: Der Weg ist das Ziel – oder so
#3: Normannischen Boden unter den Rädern. Ankunft in Rouen
#4: Verfallene Größe und idyllische Landstraßen. Mit dem Rad durch’s Seinetal
#5: Vom Seinetal an die Blumenküste. Klangvolle Namen, Geisterstädte und saftige Wiesen
#6 Lisieux. Ein fauler Tag mit dem Segen der heiligen Thérèse
#7 Kühe, Käse, Calvados – Mit dem Fahrrad durchs Pays d’Auge
#8 Von Falaise durch die Normannische Schweiz nach Caen
#9 „Urlaub vom Urlaub“ im wunderschönen Bayeux
#10 D-Day-Feiern an den Landungsstränden. „Where have all the flowers gone?“
#11 Lob der Faulheit
#13 Das Wunder des Abendlandes: Der Mont St. Michel


0 Gedanken zu “#9 „Urlaub vom Urlaub“ im wunderschönen Bayeux

  1. Huhu Ilona,
    tolle Bilder! 🙌
    Leider war ich bis jetzt nur einmal in Frankreich, in Paris, aber eine Tour durch das Land hört und sieht vor allem recht interessant und spannend aus.
    Vielleicht eine gute Sache für 2017…😊
    Viele Grüße sendet Melli

    • Kann ich nur empfehlen. Die Normandie ist großartig. Ich muss sagen, dass war einer der großartigsten Urlaube, die ich je gemacht habe und ich würde so gerne noch einmal in die Normandie zurück <3
      Wenn du das allerdings mit dem Rad machen willst, dann lies dir vorher noch mal den Teil übers Pays d'Auge durch 😉 und auch "die Hölle von Vire" (der nächste geplante Artikel) haben wir nicht umsonst so genannt…

  2. wie schön dass zumindest diese eine stadt überlebt hat und man den charme der alten zeit dort genießen kann. die kathedrale sieht acuh wirklich beeindruckend aus.

    • je länger ich darüber nachdenke, desto unglaublicher finde ich es, dass gerade Bayeux alles heil überstanden hat. Von dort aus ist man so schnell am Omaha Beach, gleich nördlich liegt Arromanche und es liegt eben gleich zwischen Caen und St. Lô.

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