#2. Der Weg ist das Ziel – oder so

Mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel, Teil 2
Der erste Artikel über unsere Normandie-Reise:

#1 Mit dem Fahrrad zum Mont St. Michel. 716 km durch die Normandie

Sonntag, 3. Mai 2015

„Es ist kühl und regnerisch. Die erste Probefahrt mit komplettem Gepäck. Ich stehe mitten in der bayerischen Pampa und frage mich mal wieder, warum wir uns das eigentlich antun.

Wir könnten uns so gemütlich ein schönes Hotel suchen, vielleicht ein Mietauto nehmen oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum Mont St. Michel. Wir könnten auch so durch die Normandie reisen, mit einem Rucksack Zug oder Bus besteigen und so herumfahren. Wieso tun wir das nicht einfach?

Weil’s langweilig wäre!

Nein, sicher wäre die Normandie auch so nicht langweilig, aber wie überwältigend kann die Anfahrt beim Mont St. Michel mit dem Auto oder dem Hotel-Shuttle schon sein? Was sieht man eigentlich wirklich von einem Land, wenn man mit 100 Sachen oder mehr durch die Landschaft rast, womöglich noch auf der Bundesstraße oder Autobahn? Man sieht A und B, aber die Strecke zwischen A und B?
Eine Schildkröte könne einem mehr über den Weg erzählen, als ein Hase, las ich kürzlich. Wir werden in der Normandie Schildkröten sein, das ist klar.

Eine Schildkröte kann dir mehr über den Weg erzählen,
als ein Hase.

„Nur wo Du zu Fuß warst, bist Du wirklich gewesen.“, schrieb Goethe. Na gut, er hatte ja auch noch kein Fahrrad, sonst hätte er wohl gesagt: „Nur wo Du zu Fuß oder mit dem Rad warst, bist Du wirklich gewesen.“ (obwohl es stimmt, dass man auch zu Fuß noch so viel mehr sieht, als mit dem Rad!) Dabei hatte Goethe zum Vergleich nur Pferde und Fuhrwerke, keine Schnellzüge und Autobahnen, die zielsicher um alle Ortschaften herumführten.

Der Weg ist das Ziel! Jawohl!
Diese Einstellung erwartet man von Wanderern, stimmts? Ich bin aber nicht sicher, ob ich dem zu hundert Prozent so Recht gebe. Die Vorstellung, die Tour nach 600km abbrechen zu müssen und nicht bis zum Mont St. Michel zu kommen, frustriert mich. Aber eben ohne all die vorherigen Strapazen beim Mont St. Michel vorzufahren, wirkt auch nicht so berauschend. Der Weg ist also vielleicht gar nicht das Ziel, aber das Ziel wäre ohne den Weg auch nichts. Weg und Ziel gehören zusammen. Man muss sowohl unterwegs gewesen sein, als auch am Ziel ankommen, um dieses absolute Triumphgefühl empfinden zu können.

Der Weg ist also vielleicht gar nicht das Ziel, aber das Ziel wäre ohne den Weg auch nichts. Weg und Ziel gehören zusammen. Man muss sowohl unterwegs gewesen sein, als auch am Ziel ankommen, um dieses absolute Triumphgefühl empfinden zu können.

Nie werde ich vergessen, wie ich mit vor Stolz geschwellter Brust am Deutschen Eck in Koblenz stand, nachdem wir zum ersten Mal eine mehrtägige Radtour erfolgreich abgeschlossen hatten. Aber auch ohne jegliches Triumphgefühl brannte sich mir der Aufstieg zu Schloss Frankenberg in mein Gedächtnis. Dass ich ein Jahr zuvor mit meiner Familie dort mit dem Auto hingefahren war, war mir völlig entfallen. Das fiel mir erst wieder ein, als ich die Fotos erneut entdeckte. Ja, nur wo Du aus eigener Kraft warst, bist Du wirklich gewesen.

Ich strample weiter durch den kalten Nieselregen. Zurück nach Hause. 12,4 km waren es am Ende nur, sagt mein GPS-Gerät. Läppische 12,4 km – aber meine Knie sind trotzdem Pudding. Auch wenn man merkt, dass man sich nach ein paar Kilometern wieder an das Gewicht gewöhnt hat – mit Gepäck fahren ist einfach etwas anderes, als normales Alltagsradeln.
Es ist aber trotzdem ironisch: Seit dem 1. Mai 2005 – seit unglaublichen 10 Jahren – reden wir davon, zum Mont St. Michel fahren zu wollen. Jede seither durchgeführte Radtour war doch immer auch ein Training für unseren großen Traum. Aber durchführen werden wir diese Tour JETZT, 2015 und damit Jahre nach unserer letzten Tour. Wir sind also auf unserem absoluten Trainingstiefstand, könnte man sagen.“

(Auszug aus meinem Reisetagebuch)


 Ansicht Mont St. Michel

Gutes Timing, schlechtes Timing…

Ich war nicht so sicher, ob 2015 ein guter oder ein schlechter Zeitpunkt für die Durchführung unserer Tour war.
Für ein gutes Timing sprach die Tatsache, dass wir jetzt eigenes Geld verdienten. Als Studenten konnten wir uns vieles nicht leisten – dafür hätten wir aber länger Ferien gehabt, die allerdings wiederum in die Hauptreisezeit gefallen wären. Sprich: Mehr Zeit in der teueren Saison, aber weniger Geld. Naja…
Für gutes Timing sprach auch, dass die Großbaustelle, die aus dem Mont St. Michel in den letzten 10 Jahren wieder die Insel gemacht hat, die er ursprünglich mal war, zum Großteil bereits abgebaut war. Das war ja schon mal ein großes Plus.

Für schlechtes Timing sprach eben eindeutig unser Trainingsstand. Unsere letzte längere Tour war – sage und schreibe – 2010! Aber trotz allem waren wir heute um einiges schlauer, als bei unserer ersten Tour: Wir konnten nicht nur Karten lesen, sondern uns auch ohne Karten relativ gut orientieren, wir erkannten die Zeichen unseres Körpers, wenn sich eine Erschöpfung ankündigte und wussten, wann es Zeit war, eine Pause einzulegen. Na gut, und ein bisschen trainierter als 2005 waren wir schon. Immerhin hatten wir diesmal vorher etwas Ausdauertraining gemacht.

Für schlechtes Timing sprach allerdings auch, dass die Bahn den letzten Zug nach Paris, in dem man Fahrräder unzerlegt und nicht eingepackt transportieren konnte, im Dezember 2014 (!) eingestellt hatte. DAS nenne ich mal wirklich schlechtes Timing! Jetzt mussten wir also fliegen und wir hatten beide etwas Bammel, ob unsere Räder das heil überstehen würden.
Wir wollten uns erst in Paris treffen. Sabine flog ab Frankfurt, ich flog ab München. In Bayern begannen zudem die Pfingstferien, was die Flugpreise gewaltig nach oben schnellen ließ. Deshalb flogen wir jetzt auch nicht erst am Samstag, sondern schon am Freitag.
Ach und hatte ich erwähnt, dass die Bahn streikte? Zum Glück fuhr überhaupt ein Zug nach München – aber zum Flughafen brachte mich freundlicherweise dann eine Freundin mit dem Auto.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass meine Sonnenbrille drei Wochen vor Abflug kaputt gegangen ist… und der Fielmann in Passau (ich erwähne ihn aus purer Dankbarkeit, nicht wegen Schleichwerbung) ewig von ihrem Lieferanten meine Brille nicht zurück bekam. Die Damen dort waren so freundlich permanent beim Lieferanten anzurufen und Druck zu machen, damit meine Brille rechtzeitig wieder da ist. Man versprach mir sogar, sollte sie zu spät abends kommen, würde man sie trotzdem fertig machen – auch nach Ladenschluss. Das nenne ich mal Service! Sie kam dann am Abend vor meiner Abreise und die Damen mussten zum Glück wegen mir keine Überstunden machen. Nach Passau musste mich wiederum jemand anderer kutschieren, denn… hatte ich schon vom Bahnstreik erzählt?

Man musste nicht mal vor die Haustüre, um bei einer solchen Reise etwas zu erleben.

Die Bahn hat mich sowieso gut unterhalten in der Vorbereitungszeit. Die Suche nach Zugverbindungen von Deutschland nach Paris gestaltete sich schwierig. „Ich würd des lassen, mit den Rädern“, lautete der hilfreiche Kommentar des jungen Mannes am Schalter. Und der hörbar gereizte Herr in der Hotline der Auslandsauskunft der Deutschen Bahn, dem meine Anfrage irgendwann zu kompliziert wurde, verabschiedete sich mit „Wissen Sie was? Wiederhören!“ bevor er einfach auflegte. Man musste nicht mal vor die Haustüre, um bei einer solchen Reise etwas zu erleben.

Dass ich zwei Monate lang hinter einem Pilgerbrief herlief ist wieder eine andere Geschichte. Zuerst hatte ich im Pilgerbüro meiner Heimatdiözese nachgefragt. Ja, alles kein Problem, erklärte man mir. Den stelle man natürlich aus. Wochen später hatte ich noch immer nichts gehört. Also, wieder angerufen – und es stellte sich heraus, dass es offenbar selbst Mitarbeiter von Pilgerbüros vollkommen verwirrt und überfordert, wenn die Pilgerfahrt nicht nach Rom oder Santiago ging. „Mit Frankreich kennen wir uns gar nicht so aus“. „Ersetzen Sie in der Vorlage für die Pilgerbriefe nach Rom doch einfach ‚Rom‘ durch ‚Mont St. Michel‘.“, schlug ich vor. „Na, wenn Ihnen das reicht….“ Was gut genug ist für einen Rompilger, sollte ja auch für uns gut genug sein.
Da ich nach weiteren zwei Wochen noch immer nichts gehört hatte und die Zeit langsam drängte, wandte ich mich an das Pilgerbüro der Diözese, in der ich derzeit lebe. Wozu hat man schließlich zwei Wohnsitze?
Dort erklärte man sich für nicht zuständig, wünschte mir eine gute Reise und leitete meine Anfrage weiter an das Ordinariat. Die Mitarbeiter wiederum leiteten mein Anliegen weiter an den theologischen Referenten des Bischofs (!), der mir dann – freundliche Wünsche aussprechend – mitteilte, das sei keine Angelegenheit der Diözese, ich solle mich an meinen Heimatpfarrer werden. Das tat ich zum Schluss auch – erneut mit hilfreicher Unterstützung eines Bekannten.
Das Ende vom Lied war dann übrigens, dass ich auf einmal drei Pilgerbriefe in Händen hielt. Naja, doppelt hält besser – und dreifach wohl erst recht.

 

Ausgestattet mit Pilgerbrief(en), Flugtickets und einigermaßen neu aufgebauter Ausdauer konnte es also nun endlich losgehen. Normandie, wir kommen!

Noch Reiseliteratur gesucht?*

normandie_219Wie so oft hat uns auch auf dieser Reise ein Reiseführer vom Michael Müller Verlag *(Affiliatelink) begleitet.

Ralf Nestmeyer: Normandie
Michael Müller Verlag, 456 Seiten + herausnehmbare Karte (1:500.000), farbig
ISBN 978-3-95654-218-3
3. Auflage 2016

Alle bisher erschienenen Artikel über unsere Normandie-Reise:
#1: 716km durch die Normandie
#2: Der Weg ist das Ziel – oder so
#3: Normannischen Boden unter den Rädern. Ankunft in Rouen
#4: Verfallene Größe und idyllische Landstraßen. Mit dem Rad durch’s Seinetal
#5: Vom Seinetal an die Blumenküste. Klangvolle Namen, Geisterstädte und saftige Wiesen
#6 Lisieux. Ein fauler Tag mit dem Segen der heiligen Thérèse
#7 Kühe, Käse, Calvados – Mit dem Fahrrad durchs Pays d’Auge
#8 Von Falaise durch die Normannische Schweiz nach Caen
#9 „Urlaub vom Urlaub“ im wunderschönen Bayeux
#10 D-Day-Feiern an den Landungsstränden. „Where have all the flowers gone?“
#11 Lob der Faulheit
#13 Das Wunder des Abendlandes: Der Mont St. Michel

Viele Menschen unterstützten mich bei der Vorbereitung der Tour und ihnen sei hier noch einmal herzlich DANKE gesagt!

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0 Gedanken zu “#2. Der Weg ist das Ziel – oder so

  1. ach ja – die eisenbahn!
    das mit den pilgerbriefen ist ja bizarr – was bitte ist denn so kompliziert daran??
    ich mag mich auch meinen reiseziele langsam annähern – inseln zb. gern mit dem schiff statt flieger wenn möglich.
    xx

    • ja, ich hab auch nicht verstanden, wo das Problem war. Ich habe sogar angeboten, den Text übersetzen zu lassen. Sie hätten mir nur den deutschen Text schicken müssen… aber anscheinend war das sehr kompliziert *schulterzuck*

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