Die heilige Quelle von Nîmes – und andere römische Kostbarkeiten

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In Nîmes gibt es den sogenannten „Quellbezirk“. Dort befindet sich eine sehr starke Quelle, die schon in vorrömischer Zeit als heilig galt. Die Römer übernahmen den Quellkult von den Kelten und bauten dort Tempel. Im 18. Jahrhundert wurde der Ort schließlich zu einem barocken Park umgestaltet, dem „Jardin de la Fontaine“, den man heute noch bewundern kann. Das war’s.

Ja, das war wirklich alles, was ich über die Quelle von Nîmes zu lesen bekam. Mal wurde mehr oder weniger über die Kelten, die Römer oder das 18. Jahrhundert geschrieben, aber doch beschränkten sich sämtliche Informationen auf diese Zeiten. Das konnte doch nicht sein. Was war denn zwischen Antike und Barock?

Blick über das riesige Quellbecken und den Jardin de la Fontaine. Das Geblubber ist natürlich nur für die Touristen. Aber die Quelle ist dennoch ungewöhnlich stark.

Auf der Suche nach dem Mittelalter an der Quelle in Nîmes

Nun habe ich in den vergangenen Jahren mehr als einen christianisierten heidnischen Tempel bestaunt und doch etliche heilige Quellen besucht. Doch die meisten heiligen Quellen – völlig egal, welche schönen Mythen sich um sie ranken und was Einheimische und Esoteriker erzählen – haben frühneuzeitliche Ursprünge. Es gibt in den allermeisten Fällen schlicht keine Hinweise auf eine irgendwie geartete vorchristliche kultische Nutzung.

Der Fontaine Pradier aus dem 19. Jahrhundert empfängt jeden, der vom Bahnhof in die Stadt geht. Oben steht eine allegorische Darstellung der Stadt Nîmes. Darunter die typischen Personifikationen von Flüssen. Hier sind es drei Flüsse – und die berühmte Quelle.

Das war hier, in Nîmes, anders. Die ganze Stadt hatte ihren Ursprung wohl in einem Kultbezirk an dieser ungewöhnlich kräftigen Quelle. Ihr Name ging auf die Gottheit – Nemausus – zurück, die dort verehrt wurde. Ich hatte hier also nachweislich einen waschechten vorchristlichen Quellkult und ausgerechnet hier wollte man mir erzählen, es hätte keine Kultkontinuität gegeben? Oder warum tat sich überall diese Lücke auf zwischen Antike und Barock? Was war hier im Mittelalter?
Ich wühlte ein bisschen in Onlinepublikationen und Katalogen und fand – nichts. Es war zum Haare raufen! Am Ende schrieb ich der Tourismus-Agentur von Nîmes und bat sie um Literaturhinweise, wo ich mehr über die Geschichte der Quelle nach der Antike finden könne. Ihre Antwort bestand nicht in einer Literaturliste (heute denke ich, das wohl daran, dass es schlicht nichts über die Quelle und ihre Bedeutung im Mittelalter gibt), sondern in einem Angebot: Wenn ich Interesse hätte, würden sie mich gerne zu einer Stadtführung einladen. Dann könnte ich alle Fragen, die ich hatte, direkt der Stadtführerin stellen. Ein Angebot, das ich gerne annahm.

Blick über die heilige Quelle von Nîmes

Blick über die heilige Quelle von Nîmes

Nîmes Sehenswürdigkeiten: Eine Stadtführung

Und so kam ich in Nîmes an und traf dort Chloe, eine junge Frau, die, wie sie mir gestand, an diesem Tag zum ersten Mal eine Stadtführung auf deutsch halten würde. Irgendwann während unseres dreistündigen Ausfluges, bei dem sie mir die Stadt zeigte, erzählte sie mir, ihr deutsch sei inzwischen etwas eingerostet, denn nach ihrem Jahr in Deutschland hätte sie ein Jahr in Italien verbracht. Sie war sichtlich erleichtert, als ich ihr auf Italienisch antwortete, sie könne im Zweifelsfalle auch gerne ins Italienische wechseln. Und so wurde die Stadtführung von nun an größtenteils auf deutsch und hin und wieder auf italienisch geführt.
Und ich muss gestehen: Ich war sichtlich erleichtert, dass ich in Südfrankreich nicht auf meine rudimentären Schulfranzösisch-Kenntnisse angewiesen war. Wie auch in Avignon, hatte ich tatsächlich auch hier in Nîmes jemanden gefunden, mit dem ich mich auf Italienisch (und Deutsch!) verständigen konnte. Ein weiteres dieser herrlichen, verbindenden gesamteuropäischen Erlebnisse!

Ein Krokodil als Wappentier: Warum das so ist, verriet mir Chloe während der Stadtführung

Die Stadt Nîmes und ihre Geschichte

Chloe begann ihre Führung in der Arena von Nîmes und erzählte mir erst einmal ein bisschen über die Stadtgeschichte.
Als die Römer 121 v. Chr. nach Nîmes kamen, fanden sie hier bereits eine keltische Siedlung vor. Ausgangspunkt dieser Siedlung war wohl die ungewöhnlich wasserreiche Quelle nordwestlich der heutigen Innenstadt. Dort hatten sich auch die Menschen zuerst niedergelassen und pflegten dort den Kult einer Gottheit, der von den Römern als Kult des Nemausus übernommen wurde.

Unter den Römern erlebte die Stadt eine Blüte, denn 27 v. Chr. erhob Kaiser Augustus die Stadt zur „Colonia“ – Colonia Augusta Nemausus – in der wohl auch Soldaten angesiedelt wurden, die in Ägypten gekämpft hatten. Aus dieser Zeit stammt wohl auch das Motiv des heutigen Stadtwappens: Es zeigt ein Krokodil, das an eine Palme gekettet ist. Die Darstellung selbst geht auf ein Münzbild zurück, mit dem man die Eroberung Ägyptens im Jahr 30 v. Chr. feierte.

Blick über das Amphitheater bis zum Tour Magne in der Ferne, der noch aus keltischer Zeit stammt und dann in die römische Stadtbefestigung integriert wurde

Die Stadt wurde entsprechend ausgebaut und befestigt. Der sogenannte „Tour Magne“ (dt. „der große Turm“), der sich oberhalb der Quelle auf einem Hügel befindet und noch aus der vorrömischen Zeit stammt, wurde in die römische Stadtbefestigung miteinbezogen. Es entstanden auch die üblichen Bauwerke einer römischen Stadt. Einige davon stehen noch heute, so das Amphitheater und ein Tempel, den man heute „Maison carré“ nennt. Und natürlich der Quellbezirk, der im 18. Jahrhundert allerdings komplett umgestaltet wurde.

Auch der Pont du Gard zeugt von Nîmes Größe und Bedeutung in römischer Zeit. Der Endpunkt des Aquädukts war im sogenannten „Castell“, einer Wasser-Sammel- und Verteilungsstelle, die heute noch besichtigt werden kann.

Das sogenannte „Castell“ – Endpunkt des Aquädukts des Pont du Gard

Nach dem Zusammenbruch des römischen Reiches, wechselte die Stadt mehrfach die Herrschaften. Sie wurde von den Westgoten, den Sarazenen und den Franken erobert und lange stritten verschiedene Herrschaften um den Besitz der Stadt.
Während der Glaubenskriege spielte Nîmes noch einmal eine Rolle als eine der wichtigsten Städte der Hugenotten, die hier sogar eine protestantische Universität gründeten. In den Religionskriegen und auch später noch kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der unterschiedlichen Konfessionen (z.B. die sogenannte „Michelade“, bei der Protestanten ein Massaker an Katholiken verübten). In den Wirren wurde die Kathedrale von Nîmes mehrfach zerstört, bis sich die Stadt ab dem 17. Jahrhundert von den Kämpfen erholen konnte. Allerdings gab es noch bis ins 19. Jahrhundert Auseinandersetzungen, für welche die konfessionellen Unterschiede wohl eine gewisse Bedeutung hatten.

Der Tour Magne, der "Große Turm", stammt noch aus keltischer Zeit und wurde in die römische Stadtbefestigung integriert

Der Tour Magne, der „Große Turm“, stammt noch aus keltischer Zeit und wurde in die römische Stadtbefestigung integriert

Heute kennen wir alle den Namen der Stadt in einem gänzlich anderen Kontext, ohne uns des Ursprungs bewusst zu sein: Der Jeans-Stoff Denim stammt nämlich von hier. Denim bedeutete ursprünglich nichts anderes als „de Nîmes“ – also „aus Nîmes“. Der Stoff wurde  in der Stadt entwickelt und von hier aus exportiert. Levi Strauß nutzte ihn aufgrund seiner Robustheit für die neuerfundenen Jeans.


Das Amphitheater von Nîmes

Das Amphithater von Nîmes – die Arena, wie die Franzosen es nennen – ist in der Stadt absolut nicht zu verfehlen. Wer vom Bahnhof kommt, steuer direkt auf diese Sehenswürdigkeit Nîmes‘ zu und ist erst einmal überwältigt von diesem Anblick. Das Bauwerk, das eine Größe von 133×101 m hat, steht auf einem großen, freien Platz in all seiner Pracht.

Erbaut wurde es im 1. Jhd. v. Chr. und wurde der Völkerwanderungszeit befestigt, um sich hier vor Angriffen schützen zu können. Es diente bis ins 14. Jahrhundert als Burg, in der auch Vertreter des Königs residierten. Danach siedelte sich das einfache Volk darin an und in der Arena entwickelte sich ein Stadtviertel mit zwei Kirchen, in dem im 17. Jahrhundert etwa 600 Menschen lebten.

Das Amphitheater in Nîmes im Wandel der Jahrhunderte
In diesem kurzem Video seht ihr Bilder, wie das Amphitheater in Nîmes über die Jahrhunderte hinweg genutzt wurde.

Diese durchgängige Nutzung bewahrte das Amphitheater vor dem Abriss. Im späten 18. Jahrhundert begann man damit, die Bauten im Inneren abzutragen – eine Idee, die schon Franz I. im 16. Jahrhundert gehegt hatte. Heute gilt die Arena von Nîmes als eines der besterhaltenen Amphitheater des römischen Reiches und wird als Veranstaltungsort genutzt. Unter anderem findet dort die Feria de Nîmes statt – Stierkämpfe nach spanischer Art, die sich leider auch hier einiger Beliebtheit erfreuen.
Zwar finden auch in der angrenzenden Provence Stierkämpfe statt, doch sind diese dort unblutig: Der eigentliche Held, der auf den Plakaten angekündigt wird, ist dort auch nicht der Torero, sondern der Stier. In Nîmes dagegen überlebt der Stier die Darbietung leider nicht.

Nimes Sehenswürdigkeiten: Das Amphitheater von Nîmes


Das Maison Carré in Nîmes

Das Maison Carré – das „rechteckige Haus“, ein weiteres Überbleibsel aus Nîmes römischer Zeit – machte auf mich ganz besonders großen Eindruck.
Es handelt sich dabei um einen der besterhaltenen Tempel des gesamten römischen Reiches. Seiner Zerstörung entging er – wie wir es schon bei der Arena gesehen haben – durch seine ständige Weiternutzung, u.a. schon ab dem 5. Jahrhundert als Kirche. Heute wird er museal genutzt. Also gab es auch hier, zumindest zeitweise, eine gewisse Kontinuität in der kultischen Nutzung.

Das Maison Carre in Nîmes

Das Maison Carre in Nîmes ist einer der besterhaltenen Tempel des römischen Reiches

Ursprünglich stand er auf dem antiken Forum, heute ist er umgeben von Gebäuden weit späterer Jahrhunderte. Es wirkt wie ein Wunder, dass vom gesamten Forum ausgerechnet dieser Tempel weiterhin wie unangetastet an seinem Platz steht (natürlich ist er nicht unangetastet, er wurde ja Jahrhundertelang anderweitig genutzt).

Einen schönen Blick auf das Maison Carré hat man übrigens vom Dach des modernen Kulturzentrums „Carré d’Art“. Der Name spielt unverkennbar auf das gegenüberliegende antike Bauwerk an und auch die Architektur soll – so habe ich gelesen – darauf anspielen. Der Glasfront sind Stahlsäulen vorgestellt, die auf die antiken Säulen gegenüber Bezug nehmen. Außerdem wurde der morderne Bau einige Stockwerke unterirdisch gebaut, so dass er den gegenüberliegenden Tempel nicht allzu sehr erschlägt. Das Carré d’Art enthält ein Museum und eine öffentliche Bibliothek und im Obergeschoss ein Café, von dessen Terrasse man eben den erwähnten guten Blick auf das Maison Carré hat.

Nimes Sehenswürdigkeiten: Blick vom Carré d'Art auf das Maison Carré

Blick vom Carré d’Art auf das Maison Carré

Der Quellbezirk von Nîmes

Nun näherten wir uns endlich dem Quellbezirk. Ich hatte ihn an diesem Tag schon besucht, um Bilder zu machen, bevor ich Chloe am Amphitheater traf, doch nun wollte ich endlich erfahren, was es mit der Quelle im Mittelalter auf sich hatte. Wegen dieser Sehenswürdigkeit Nîmes war ich doch eigentlich hier!

Chloe zerstörte gleich schlagartig meine Hoffnungen auf spannende Geschichten von kultischer Weiternutzung durch die Christen: Es gab sie nämlich einfach nicht.

Der fälschlicherweise sogenannte „Tempel der Diana“. Vom 10. bis zum 16. Jahrhundert befand sich hier die Kirche eines Benediktinerklosters

Im Gegenteil: sogar der Siedlungskern verlagerte sich. War die erste Siedlung an der Quelle entstanden, so lag die Quelle nach der Antike außerhalb der eigentlichen Stadt in einem bewaldeten, „wilden“ Gebiet.
Ein Teil der römischen Ruinen des Quellbezirks wurde tatsächlich weitergenutzt und einem Kloster eingegliedert. Es handelt sich dabei um den fälschlicherweise sogenannten „Tempel der Diana“. Bei diesem Gebäude handelte es sich nicht um einen Tempel – und mit der Göttin Diana hatte er auch nichts zu tun – aber er ist der einzige Rest der römischen Bauwerke, den man heute noch bewundern kann. Auch dies hat man der Weiternutzung in nachrömischer Zeit zu verdanken.

Blick über das Quellbecken zum sogenannten „Tempel der Diana“

Ich gestehe: Es will mir immer noch einfach nicht in den Kopf, wie es möglich ist, dass ein Kloster gleich neben dieser großen Quelle gebaut wird, die zuvor ein wichtiges Heiligtum war – ohne, dass diese Quelle weiterhin kultisch genutzt worden wäre. Aber in Nîmes war es offenbar genau so. Es gibt zumindest keine Hinweise auf eine kultische Nutzung durch die Christen. Auch über das Benediktinerkloster selbst, das seit dem 10. Jahrhundert hier stand und im Zuge der Religionskriege zerstört wurde, gibt es nur sehr wenige Informationen.

Die Quelle in Nîmes

Die Quelle von Nîmes ist – gelinde gesagt – ein Riesending. Das natürliche Quellbecken ist ein großer Felstrichter mit etwa 14m Durchmesser und 7m Tiefe.
Als der Bezirk im 18. Jahrhundert wiederentdeckt, untersucht und dokumentiert wurde – bevor man ihn barock überbaute – unternahm man auch Versuche an der Quelle. Damals kam man auf etwa 3500m³ am Tag. In der Antike, so vermutet Naumann [Literaturangaben siehe ganz unten], führte die Quelle noch mehr Wasser, da die Berge, an deren Fuß der Quelleaustritt liegt, damals noch bewaldet und insgesamt wasserreicher waren.

Blick über die Anlage des Jardin de la Fontaine. Im Barock orientierte man sich zumindest an den antiken Formen, folgte ihnen aber nicht exakt. Das Quellbecken war schon damals gefasst, hatte allerdings einen etwas anderen Verlauf

Noch in neuester Zeit, wurden Versuche an der Quelle durchgeführt, um das ausgedehnte Karstsystem, aus dem sich die Quelle speist, zu untersuchen. Allerdings genügen meine Französischkenntnisse bedauerlicherweise nicht, um die Einzelheiten des Versuchaufbaus und -ablaufs von 2010 verstehen zu können.

Literatur zu modernen Untersuchungen der Quelle in Nîmes

Der antike Quellkult: Nemausus, Nymphen und Kaiserkult

An der Quelle war schon zu keltischer Zeit (und vermutlich bereits davor!) ein Kult angesiedelt und der Gott, der dort verehrt worden sein soll, hieß  Nemausus. Ob es sich dabei um eine Art „Wassergeist“ der Quelle oder einen Schutzgott des dort siedelnden Keltenstammes handelte, ist ungewiss. Jedenfalls wurde diese Gottheit offenbar nirgends sonst verehrt. Zudem gibt es Hinweise auf einen Kult der „Matres Nemausicae“, offenbar weibliche Gottheiten, die dort verehrt wurden. Mehr weiß man über sie allerdings nicht.

Blick auf den Jardin de la Fontaine in Nimes

Blick auf den Jardin de la Fontaine in Nimes

Die Römer übernahmen den Quellkult und verbanden ihn mit dem Kult um die Nymphen. Die Nymphen sind Naturgeister aus der griechischen und römischen Mythologie, die z.T. auch als Personifikation von Naturkräften oder Orten in der Natur gesehen wurden, wie Bergen, Wäldern oder auch Seen oder Quellen. Sie wurden in Nymphäen verehrt, die häufig über Brunnen und Quellen errichtet wurden. Es gibt so gut wie immer einen Bezug zum Wasser. Dabei waren Nymphäen aber eher Nutzbauten, die dem Schutz der Nymphen unterstanden, als Orte für den Gottesdienst.
Inschriften deuten darauf hin, dass neben Nemausus und den Nymphen auch der Kaiserkult hier in Nîmes gepflegt wurde – genauer gesagt: Der Kult um Kaiser Augustus, der die Stadt ja zur Colonia erhoben hatte.

Der Quellbezirk nach einer Dokumentation im 18. Jahrhundert. Da der Bezirk barock umgestaltet wurde, ist eine archäologische Untersuchung heute schwierig und man muss sich auf Zeichnungen der Ausgrabungen von damals stützen. Nach Naumann [Literaturangaben sh. ganz unten]

Die römische Anlage im Quellbezirk

Die römische Anlage zu rekonstruieren scheint nicht gar nicht so einfach zu sein. Im 18. Jahrhundert unternahm man hier Grabungen und damals wurde auch dokumentiert und zeichnerisch festgehalten, was man sah. Danach wurde der Quellbezirk zu einem barocken Park umgestaltet und damit viele römische Reste überbaut und zerstört und eine Untersuchung mit den modernen Mitteln unmöglich gemacht. Man ist deshalb bei der Untersuchung auch auf die Zeichnungen aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angewiesen.

Schaubild der Ausgrabungen im Quellbezirk von 1739. Aus: Naumann [Literaturangaben sh. ganz unten]

Was weiß man also über die römische Anlage des Quellbezirks von Nîmes?

Ich folge hier den Beschreibungen von Naumann, Rudolf: Der Quellbezirk von Nîmes, Walter de Gruyter & Co, Berlin / Leipzig 1937.

Man weiß, dass der Saalbau des sogenannten ♦ Tempels der Diana als einziges Bauwerk der antiken Anlage immer bekannt gewesen war. Der Rest wurde erst 1739 wieder gefunden, das Theater sogar erst 1854.

Das ♦ Quellbecken war auch in der Antike schon unregelmäßig geformt. Im Norden und Westen folgte es dem Geländeverlauf, im Süden befanden sich eine gerade Mauer und zwei halbkreisförmige Stufenanlagen, bei denen es sich wahrscheinlich um Sitzstufen handelte. Im Gegensatz zum modernen Pendant waren die Stufen auch nicht vollständig unter Wasser.

Im Osten machte das Quellbecken einen Knick und mündete in einen Kanal über den sich eine dreibogige Brücke spannte (im Barock wurde sie durch eine zweibogige ersetzt). Der Kanal endete an einem Wehr, mit dem man den Wasserstand regeln konnte.

Blick über das riesige Quellbecken und den Jardin de la Fontaine. Das Geblubber ist natürlich nur für die Touristen. Aber die Quelle ist dennoch ungewöhnlich stark.

Neben den Sitzstufen befand sich noch ein weiterer Wasserauslass, der in ein komplexes Netz aus unterirdischen Rohren, Becken und Kanälen führte, von denen einige wiederum mit dem Nymphäum verbunden waren (siehe dazu auch weiter unten).

Wie das Quellbecken in der Antike äußerlich gestaltet war, ist nicht zu ermitteln, wahrscheinlich war es nicht überdacht sondern von einer Brüstung umgeben.


Auf der anderen Seite der halbkreisförmigen Stufen befand sich ein ♦ Tempel an der Quelle. Man fand hier ein quadratisches Fundament, wo auch Stücke von Gebälk, Kapitellen und Säulen gefunden wurden. Möglicherweise stand hier ein Heiligtum des Nemausus.

Die Form wurde in die barocke Anlage übernommen, aber durch die Umbauarbeiten sind die antiken Fundamente nicht mehr nachweisbar und damit auch nicht mehr untersuchbar.

Die quadratische Form des Fundaments, das man an der Quelle gefunden hat, wurde in die barocke Anlage übernommen.


Das heute sichtbare ♦ Nymphäum wurde 1740 auf den ausgegrabenen Resten erbaut, wobei man sich „in der Raumgestaltung von der alten Anlage leiten ließ“ [Naumann, S. 32].

Das Nymphäum war sehr regelmäßig gestaltet und stand damit im Gegensatz zum unregelmäßig geformten Quellbecken mit dem es über das Wehr und den Kanal verbunden war.
Es lag ca. 3m tiefer als der Boden des Quellbezirks und sogar etwas unter dem Wasserspiegel. Es handelte sich um eine rechteckige Anlage mit Doppelsäulenreihen im Westen und Süden und halbrunden und rechteckigen Nischen in den Wänden, in denen einige Wasserkanäle endeten (möglicherweise befanden sich hier Brunnen und Becken?).
Mit einem großen Sockel in der Mitte bildete das Nymphäum eine bauliche Einheit, die den Mittelpunkt der Anlage des Quellbezirks bildete (vgl. dazu den folgenden Plan mit einer Rekonstruktion der Anlage nach Naumann).

Gesamtplan der Anlage – Rekonstruktion von Naumann

Die genannten Doppelsäulenreihen waren womöglich überdacht und bildeten so einen „brückenartigen Übergang“ [Naumann, S. 37] zum Sockel in der Mitte, auf dem heute eine barocke Nymphe alles überthront.
In der Antike könnte er für den Kaiserkult gedient haben, möglicherweise zusammen mit dem Kult des Nemausus.

der barockgestaltete „Altar“, auf den man heute nicht mehr über eine Brücke gelangen kann


Es gab im Quellbezirk offenbar noch einen ♦ Tempel, von dem heute nichts mehr zu sehen ist. Auf den Zeichnungen des 18. Jahrhunderts sieht man eine Substruktion von Pfeilern im großen Wasserbecken.
Dieser Tempel lag auf einer Achse mit einem der „brückenartigen Übergänge“ zum Sockel im Zentrum des Nymphäums. Auch deshalb vermutet Naumann [S. 58] eine kultische Verbindung. Es könnte sich vielleicht um einen Tempel des Kaiserkultes gehandelt haben.


Das Becken in dem die Pfeiler standen, war ein Wassersammelbecken, von dem aus Leitungen und Kanäle in die Stadt führten. Denn die Quelle von Nîmes wurde nicht nur kultisch genutzt, sondern diente noch bis ins 20. Jahrhundert auch der Wasserversorgung der Stadt.

Auffällig ist im Quellbezirk in Nîmes, wie hier Wasser über ein sehr komplexes System von Becken, Leitungen und Kanälen – oberirdisch und unterirdisch – geleitet wurde, wie es reguliert und gesteuert wurde und wie hier offenbar nichts dem Zufall überlassen wurde.
In den 1990er Jahren gab es archäologische Untersuchungen des unterirdischen Kanalsystems. Denn auch wenn durch die barocke Umgestaltung vieles für die moderne Archäologie verloren ging, so blieb doch das unterirdische Wasserleitungssystem weitgehend unberührt und konnte genauer untersucht werden. Leider kamen mir auch hier meine nicht ausreichenden Französischkenntnisse in die Quere. Zwar verstehe ich grob, worum es geht, aber um die Einzelheiten wirklich genauer begreifen und wiedergeben zu können, dafür fehlen mir leider die Sprachkenntnisse. Wer des Französischen mächtiger ist als ich, kann aber natürlich hier nachlesen.

Auch bei Naumann findet man einen Plan der Kanalisation, der das, was ich hier nur grob umrissen habe und was Naumann viel ausführlicher beschrieben hat, nachvollziehbar macht:

Und ich komme nicht umhin, wieder einmal festzustellen, dass es wirklich verwundert, wie so eine Anlage einfach aus dem Bewusstsein verschwinden,  jahrhundertelang einfach „vergessen“ werden konnte.

Nun war ich natürlich trotz allem ein bisschen enttäuscht, dass aus den von mir erhofften Geschichten über kultische Weiternutzung der antiken heiligen Quelle, nichts wurde. Aber am Ende dachte ich mir, ob das nicht eigentlich die weit spannendere Geschichte war: Dass meine Erwartungen hier einfach nicht erfüllt wurden und es genau anders war, als ich geglaubt hatte. Alles andere hätte nur bestätigt, was ich eh schon zu wissen glaubte. Hier lernte ich tatsächlich mal etwas überraschend Neues.
Spannend ist die Anlage des Quellbezirks allemal – und auch die Stadt Nîmes ist es und wirklich einen Besuch wert.


Anreise und Übernachtung

Ich selbst übernachtete nicht in Nîmes, sondern unternahm von Arles, wo ich im Hotel Belvedere* wohnte, einen Tagesausflug.

Ich hätte allerdings gut noch einen zweiten Tag in Nîmes verbringen können, etwa um Zeit für die Museen der Stadt zu haben. Wer in Nîmes ein Hotel sucht, wird hier fündig.*

Nîmes ist von Arles aus mit Zug oder Bus erreichbar (ich selbst fuhr mit dem Bus, da aus irgendeinem Grund an dem Tag, an dem ich unterwegs war, keine Züge fuhren). Auch von Avignon ist Nîmes schnell mit dem Zug erreicht.


Weiterlesen über Südfrankreich


Offenlegung

Die Reise nach Südfrankreich wurde von mir selbst finanziert und organisiert. Die Tourismusbehörde von Nîmes hat mich von sich aus zu einer Stadtführung eingeladen und ich bedanke mich herzlich bei Chloe für die informative Führung und die angeregte Unterhaltung. Genau wie für die Literaturhinweise, die sie mir hinterher noch hat zukommen lassen!

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Das immer wieder zitierte Werk von Naumann:
Naumann, Rudolf: Der Quellbezirk von Nîmes, Walter de Gruyter & Co, Berlin / Leipzig 1937.

18 Gedanken zu “Die heilige Quelle von Nîmes – und andere römische Kostbarkeiten

  1. Faszinierend, spannend! Ich liebe es, wie hartknäckig du an dieses Mysterium herangehst… ich bin mit dir einverstanden, ein Zufall kann es doch nicht sein… ich hoffe sehr, dass wir irgendwann durch irgendeinen Fund mehr erfahren 🙂 Es ist mir immer eine Freude, deine Texte zu lesen, danke!

    • Vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Ja, ich hatte mich in diese Idee verbissen, dass da doch etwas gewesen sein muss… und irgendwie glaube ich auch immer noch nicht ganz, dass da gar nichts gewesen sein kann. Dass dieser Kult an der Quelle einfach so aufhörte? Und dann auch im Benediktinerkloster nie wieder diese Quelle ein Rolle spielte? Wir wissen es nur leider nicht. Durch die Völkerwanderungszeit und die Religionskriege ging sicher auch viel verloren.
      Aber so, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es halt nicht… tja …

  2. „Aber am Ende dachte ich mir, ob das nicht eigentlich die weit spannendere Geschichte war: Dass meine Erwartungen hier einfach nicht erfüllt wurden und es genau anders war, als ich geglaubt hatte. Alles andere hätte nur bestätigt, was ich eh schon zu wissen glaubte.“

    Genau DAS ist es doch auch, was Reisen zu uns bisher unbekannten Orten so lohnenswert macht! Das eben einfach auch mal NICHT alles so kommt, wie man es erwartet oder sich im Vorfeld angelesen hat. Würde das immer alles so eintreffen, was hätten wir dann zu erzählen? Expect the unexpected 😉

    Der Ort an sich, mal rein aus dem Auge eines Hobbyfotografen betrachtet, beschert mir auf jeden Fall leuchtende Augen. Da könnte ich glaube ich endlos viele Speicherkarten voll knipsen.

    • Da hast du absolut Recht! Ich will gar nicht bestreiten, dass ich dennoch etwas enttäuscht war, dass sich dort keine wundertätige Marienfigur befand oder ähnliches, aber wie du sagst: Man würde ja sonst auch nie was dazu lernen. Und dafür reist man doch auch!

      Und so von Hobbyphotograph zu Hobbyphotograph: Ja, da kriegt man schon ein paar Bilder zusammen in der Ecke 😉

  3. Sehr spannend, ich mag es sehr Deine fundierten Berichte zu lesen.
    Zugegeben, auch wenn ich es mir nicht merken kann, ich weiß ja wo es steht 🙂

    Was mir aber noch nicht ganz klar geworden ist, wer hat die Quellen denn als heilige Quellen definiert? Mal völlig abgesehen vom klassischen Badekult der Römer über den wir gerade nicht sprechen.

    Kannst Du mir das noch beantworten? Oder habe ich es schlicht überlesen?

    Liebe Grüße, Katja

    • Danke erst mal für deinen Kommentar… und um auf deine Frage einzugehen: Wer hat das definiert? Nun ja, man muss sich das ähnlich vorstellen, wie mal irgendwer definiert hat, dass der Petersdom ein „Kultort“ ist.
      Wir reden hier tatsächlich nicht vom Bäder/Thermen-Betrieb der Römer. Da könnte man freilich auch sagen, sie hätten einen „Kult darum betrieben“, aber hier gehts wirklich um einen religiösen Kult. Zwar gab es wohl früher mal Vermutungen an der Quelle hätte es auch einen Badebetrieb gegeben, aber Naumann hielt das für unwahrscheinlich, weil die dazugehörigen Gebäude nicht nachgewiesen wurden.
      Man muss sich vorstellen, dass die Quelle ein religiöser Ort war, an dem eine Gottheit verehrt wurde, auf jeden Fall später dann Tempel standen und Riten durchgeführt wurden. Wie so eine Quelle ursprünglich mal heilig wurde? Das ist natürlich kaum nachweisbar, das war wohl ein schleichender Prozess… nachweisbar wird das erst, wenn es eine gewisse „Institutionalisierung“ (ganz bewusst in „-„) erfährt, die dann auch archäologisch nachweisbar ist. Also wenn dort Tempel errichtet werden oder Opfer dargebracht werden.

      Hat das die Frage ungefähr beantwortet?

  4. in nîmes war ich ja leider nur auf der durchreise, einen blick auf das amphitheater werfen und einen kaffee trinken. das war schade, weil die stadt schon auf den ersten blick sehr schön und toll gewirkt hat – da hab ich offentlichtlich einiges verpasst.

    • Nîmes hat mir auch RICHTIG gut gefallen. Die Stadt war irgendwie jung und lebendig. Das mochte ich. Irgendwie auch lebendiger als Avignon oder Arles… obwohl die beide schön waren. Aber wenn ich mir vorstelle, wo ich lieber wohnen würde, dann eindeutig in Nîmes.

  5. Das war ja richtig cool, dass du eine Stadtführung bekommen hast. So konntest du ja einiges erfahren und jetzt weitergeben. Und dann auch noch auf deutsch und italienisch 🙂
    Ich kenne das nämlich zu gut, wenn man bei der Literaturrecherche einfach nichts zur Fragestellung findet. Das kann durchaus frustrierend sein.

    ❤️
    Michelle

  6. Liebe Ilona,
    Ich finde deine Hartnäckigkeit toll, mit der du den Spuren der Quelle gefolgt bist. Das macht eben eine echte Historikerin aus. Wenn ich meiner Familie auf Reisen die Geschichte unserer Ziele nahebringen will, stoße ich leider meist auf taube Ohren. Hauptsache, es ist schön, heißt es dann.
    Viele Grüße und danke für die fundierte Recherche,
    Sanne

    • haha… oje… deine Familie sollte nicht mit mir wegfahren (und ich nicht mit ihr!)
      Wenn ich alleine bin, kann ich ja eh machen, was ich will. Und wenn jemand es wagt, mit mir mal wegzufahren, weiß er für gewöhnlich, auf was er sich einlässt. 😉 (Ich hab einen Freund, der tatsächlich vorgeschlagen hat, wir könnten nach Rom fahren, bestimmt ein halbes Dutzend Mal gefragt, ob er GANZ SICHER ist, dass er MIT MIR nach ROM fahren will 😀 … er wollte… tja. Aber ihm hats gefallen)

  7. Ich muß ja gestehen, ich habe mich vorher nie mit Nimes beschäftigt. Von der Quelle von Nîmes hab ich bisher auch nichts gehört… Aber dein Bericht hört sich superinteressant an, so als sollte man Nimes unbedingt mal auf den Reiseplan setzen.
    Viele Grüße
    Tanja

    • Ich habe mich mit Nîmes auch erst im Zuge der Vorbereitungen zu meiner Reise beschäftigt. Und als ich von der Quelle las, erregte das natürlich sofort mein Interesse…
      Nîmes ist echt eine schöne, lebendige und junge Stadt. Da kann mans gut aushalten 🙂

  8. Ich bin gerade bei einer ersten Recherche zur römischen Wasserleitung von Uzés nach Nimes und dabei auf diese sehr ausführliche Berichterstattung zu den Heiligen Quellen gestoßen. Das ist ja sehr interessant, v.a. daß die Quellen eigentlich schon vor den Römern ausgiebig genutzt wurden und so lange in „Betrieb“ waren. Auch sonst erscheint mir Nimes mal wieder noch reisewürdiger, als ich es bisher schon eingeschätzt hatte. Mein letzter Besuch dort war leider nur ein kurzer und oberflächlicher. Das wird sich beim nächsten Mal ändern, und zuvor lese ich den Bericht hier nochmal gründlich 🙂
    Liebe Grüße! Bernd

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