Tabernacoli in Florenz: Vormoderne Street-Art

Wenn man genau hinsieht, erblickt man sie überall in der Altstadt von Florenz: Tabernacoli!
Kleine oder auch große Heiligenbilder, meist gerahmt und mit einem kleinen Dach versehen, manchmal mit einem Altar davor, an Hauswänden und Straßenecken. Sie sind wirklich überall. Hat man sie einmal gesehen, fallen sie einem auf Schritt und Tritt auf. Sie sind fast wie Graffiti: Allgegenwärtig. Groß und auffallend oder eher klein und versteckt in dunklen Ecken. Manche echte Kunstwerke, manche eher simpel und einfach. Eigentlich sind sie vormoderne Street-Art.
Der Katalog, den Julia Weiler-Esser für ihre Dissertation zusammengestellt hat, listet 150 heute noch erhaltene Tabernacoli in Florenz. Und hierbei handelt es sich lediglich um die Tabernacoli, die bis 1700 entstanden waren. Auch aus dem 18. und 19. Jahrhundert gibt es unzählige erhaltene Nischen mit Heiligenbildern, Marienstatuen und -reliefs.

Tabernacolo in der Via Faenza: Als Dank für die überstandene Pest. Das Bild von1615 zeigt Maria mit Kind, dem Heiligen Josef, dem Johannesknaben zu ihren Füßen, St. Philipp Neri, St. Karl Borromäus und St. Rochus.

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Allgemeines zu den Tabernacoli in Florenz

In Florenz haben sich mehr Tabernacoli aus Mittelalter und Frühneuzeit erhalten als in anderen italienischen Städten: Einige sind groß und prächtig, andere eher klein und versteckt, einige wurden von Unbekannten entworfen, andere von den großen Künstlern ihrer Epoche geschaffen. Aber egal, ob man sie ganz bewusst wahrnimmt oder eher „im Vorbeigehen“: Sie prägen das Bild der Altstadt von Florenz ganz wesentlich mit.

Aber was sind diese Tabernacoli überhaupt? Welche Funktion hatten sie? Wie entstanden sie? Und welchen besonderen Tabernacoli sollte man in Florenz vielleicht mehr als einen flüchtigen Blick widmen? Darum soll es in diesem Artikel gehen.

Viele Tabernacoli sind leider nicht in besonders gutem Zustand, sowie dieser Tabernacolo della Quarquonia. Häufig ist das Glas verdreckt und die Fresken nur noch schwer erkennbar. Andere dagegen sind recht gut erhalten. Sie zu suchen hat ein bisschen was von einer Schatzsuche, nur viel befriedigender. Denn bei den Tabernacoli in Florenz wird man ganz sicher fündig.

Was sind Tabernacoli überhaupt?

Das italienische Wort Tabernacolo (Plural: Tabernacoli) lässt sich nicht eindeutig ins Deutsche übersetzen. Wie das deutsche Wort „Tabernakel“ bezeichnet es auch den Ort,  an dem in einer katholischen Kirche die Hostie verwahrt wird. Darüber hinaus hat es aber auch noch andere Bedeutungen, zumindest in bestimmten Regionen Italiens.

Das Wort Tabernacolo kann allerhand beschreiben: Die Bedeutung reicht von kleinen, unauffälligen Bildern an der Hauswand, über große kunstvolle Malereien und Reliefs bis hin zu kapellenartige Anlagen und Freiluftaltären. In der Toskana nennt man sie Tabernacoli, in anderen Regionen Italiens verwendet man auch die Begriffe Santella, Capitello oder Pilone Votivo. Wenn es um Marienbilder geht, spricht man in Rom z.B. auch von „Madonella“.

Barockforscher Peter Hersche subsummiert diese Tabernacoli in Florenz und anderen Städten unter „sakrale Kleindenkmäler“ bzw. „sakrale Kleinkunst“ (S. 566f), wozu auch die im deutschsprachigen katholischen Raum verbreiteten Marterln, Feldkreuze und Bildstöcke zählen. Die Form, die in italienischen Städten zahlreich anzutreffen war und ist, nennt er „Edicole“. Edicola (so der Singular des Wortes) leitet sich wiederum aus dem lateinischen Aediculum ab, was so viel wie „Häuschen“ oder „Tempelchen“ bedeutet.
Schon im alten Rom gab es solche Aedicula, kleine Tempelchen, die Götterdarstellungen enthielten.

Tabernacolo mit der Figur des Heiligen Sebastian in der Via degli Alfani. Der Heilige Sebastian war ein klassischer Pestheiliger, der zum Schutz vor der Pest oder anderen Seuchen angerufen wurde

Auch die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Tabernacoli in Florenz sind optisch ähnlich aufgebaut: Es ist meist eine Nische mit dem Bild, Relief oder der Figur eines Heiligen, die für gewöhnlich an einer Straßenecke oder Häuserwand angebracht sind und mit einem abstrahierten Tempelchen oder einem steinernen Rahmen gerahmt wurden. Diese „Tempelchen“ können durchaus so groß sein, dass es sich schon eher um kleine Kapellen handelt, wie z.B. der große Tabernacolo in der Via dell’Arte della Lana in Florenz (dazu weiter unten mehr).

Julia Weiler-Esser definiert in ihrer Dissertation Tabernacoli wie folgt:

„Letztlich lässt sich in physischer Hinsicht definieren: Tabernacoli sind Heiligendarstellungen, die (in der Regel) durch einen abstrahierten Tempel gerahmt sind. (…) In der Regel befinden sie sich im öffentlich zugänglichen Raum (an Straßenecken, Häuserwänden, in kleinen Oratorien) und wurden geweiht.“ (S. 25)

Und so unspezifisch diese Definition auch sein mag: Sie deckt die Breite der Möglichkeiten in der Gestaltung eines Tabernacolo am besten!

Tabernacolo aus dem 16. Jahrhundert an der Piazza del Limbo


Antike Vorbilder für die Tabernacoli

In gewisser Weise gibt es bereits vorchristliche Vorläufer der Tabernacoli. Julia Weiler-Esser (S. 205ff) legt dar, dass es bereits im antiken Rom ähnliche Einrichtungen gab: Auch die Compita Larum waren an Kreuzungen angebracht und waren den Laren geweiht, den Göttern oder Geistern eines Ortes. Dies waren eher „kapellenähnliche“ Tempel, die „vor allem den kappelartigen Tabernacoli vergleichbar“ waren. (S. 208)
Ein anderer, den Laren geweihter Kultort, war stilistisch ebenfalls den späteren Tabernacoli sehr ähnlich: Das Lararium. Es befand sich im Inneren eines Hauses und war dort der Schrein, an dem der Kult der Schutzgötter des Hauses bzw. der Familie durchgeführt wurde. Während die Laren der Familie mit der Familie umzogen, sah man die Laren des Hauses als an den Ort gebunden an. Sie waren somit der Spiritus Loci, der Geist eines Ortes, den man dort verehrte. Die Ähnlichkeit in der Gestaltung ist auffällig und man kann hier durchaus von einer christianisierten Version dieser heidnisch-römischen Tradition sprechen. Sogar die Diözesen Roms bezeichnen die „Madonelle“, die allgegenwärtigen Marienbilder der Stadt, als „christliche Übersetzung der Compita Larum“.

Ein Lararium in Pompeji


Seit wann gibt es Tabernacoli in Florenz?

Wie so oft ist die Kontinuität allerdings nicht so ungebrochen, wie man es gerne hätte. Es wäre natürlich wunderbar, könnte man einfach sagen, dass mit der Christianisierung die Laren- und Kaiserstatuen aus den Lararien und Compita entfernt und durch Marienbilder ersetzt worden wären. Aber zwischen der Antike und dem Wiederauftauchen der Tabernacoli klafft eine Lücke von mehreren Jahrhunderten.

Tabernacolo mit Kreuzigungsszene, Ecke Via dei Federighi und Via dei Palchetti.

Die früheste Erwähnung der florentinischen Tabernacoli in der Literatur findet sich 1684, also doch überraschend spät, wenn man bedenkt, dass so große Tabernacoli wie der, der sich heute in der Via dell’Arte della Lana aus dem frühen 14. Jahrhundert stammen. Der Ursprung der Tabernacoli selbst – oder besser das Wiederaufleben der antiken Tradition in Florenz – soll im 13. Jahrhundert liegen. Der Heilige Petrus Martyr (auch: Petrus von Verona) kam 1243 nach Florenz, um dort gegen die Katharer vorzugehen, die vom Papst zu Ketzern erklärt worden waren (tatsächlich leitete sich das Wort „Ketzer“ von den Katharern ab). Zwar waren die Sekten der Katharer und Albigenser in Südfrankreich bereits weitestgehend besiegt worden, aber in Italien hielten sie sich noch in etlichen Städten – z.B. auch in Oberitalien, wo der Heilige Antonius von Padua etwa um die gleiche Zeit gegen sie predigte.

Dieser Tabernacolo in der Via degli Alfani / Ecke Borgo Pinti diente wahrscheinlich den abendlichen Laudesgesängen. Das Werk stammt von 1355.

Petrus Martyr hielt sich nicht mit predigen auf, sondern gründete gleich einige Bruderschaften, um den „rechten Glauben“ in der Stadt Florenz zu stärken. Aus der Verehrung der Madonna durch diese Bruderschaften sollen die ersten Marienbilder in den Straßen von Florenz entstanden sein. Indem man ein solches Bild an seinem Haus oder seiner Werkstatt anbrachte, konnte man für alle sichtbar seine „Rechtgläubigkeit“ zur Schau stellen und bezeugen.
Auf Petrus von Verona soll auch die Gründung der ersten Compagnia di Laudesi bei Orsanmichele in Florenz zurückgehen. In den nächsten Jahrzehnten bildeten sich noch weitere solche „Compagnie di Laudesi“, Bruderschaften, deren gemeinsame Aufgabe es war, sich „bei Sonnenuntergang nach der Arbeit [zu treffen], um vor Marienbildern Loblieder (Laudes) zu singen. Mit der Zunahme solcher Vereinigungen und in dem Maße, in dem ihre Mitgliederzahlen wuchsen, nahm auch die Zahl der Tabernacoli in der Stadt zu.“ (Weiler-Esser, S. 42)

Obwohl die erste niedergeschriebene Verbindung der Tabernacoli in Florenz mit Petrus von Verona so spät erfolgte, scheint diese These weitgehend akzeptiert worden zu sein.

</p> <h4><strong>Das Oratorio der Madonna della Tromba<br></strong></h4> <p>

Der Tabernacolo der Madonna della Tromba, der heute direkt bei Orsanmichele liegt, ist einer der ältesten in Florenz. Es stammt aus der Zeit um 1330 und stand ursprünglich am Mercato Vecchio. Der dortige Vorgängerbau soll einer der Tabernacoli gewesen sein, die Pietro von Verona in Auftrag gegeben hatte. An dieser Stelle am alten Markt soll der Heilige eine Predigt gegen die Katharer gehalten haben. Der Name „della Tromba“ leitet sich von der unweit gelegenen Gasse Vicolo della Tromba her. Das Oratorium wurde im späten 18. Jahrhundert entweiht. Als zwischen 1885 und 1895 der Mercato Vecchio umgestaltet und die Piazza delle Repubblica geschaffen wurde, wurde das Oratorio mit dem Tabernacolo an seine heutige Stelle versetzt.

Seit 1361 kümmerte sich die Zunft der Ärzte und Gewürzhändler um den Tabernacolo und war auch dafür zuständig, das ewige Licht am brennen zu halten.
Der Tabernacolo ist beeindruckend, mit einem tempelartigen Vorbau mit gedrehten Säulen und einem gotischen Bogen. Vor dem Marienbild befindet sich ein Altartisch, an dem für viele Jahrhunderte täglich die Messe gelesen wurde.
Das Bild ist nicht so einfach zu erkennen – wie bei so vielen Tabernacoli. Aber wer in der Innenstadt von Florenz unterwegs ist, sich vielleicht sogar Orsanmichele anschaut, sollte diesen kurzen Schlenker auf sich nehmen und einen genaueren Blick auf diesen großen Tabernacolo werfen.


Welche Funktionen hatten Tabernacoli in Florenz?

„Historians can never recapture all their functions and meanings in the little and great dramas of urban activity, but these Madonnas and saints had many lives.“

  • Muir, Edward: The Virgin on the Street Corner

Die Funktionen der Tabernacoli waren höchst vielfältig. Sie erfüllten private wie öffentliche Funktionen gleichermaßen. Ich werde hier einige Funktionen der Tabernacoli in Florenz vorstellen (wobei ich mich an Julia Weiler-Esser orientiere), allerdings darf man das nicht so verstehen, dass jeder Tabernacolo genau eine Funktion erfüllt hätte. Nicht nur die „Gattung“ der Tabernacoli allgemein, sondern auch fast jeder Tabernacolo im Speziellen hatte eine Vielzahl von Bedeutungen und Funktionen. Es gibt hier kein schwarz-weiß, wie so oft. Nur weil ein Auftraggeber einen besonders prächtigen, großen Tabernacolo in Auftrag gegeben hat, heißt das nicht, dass er nicht ernsthaft um Schutz bat oder wirklich fromm war. Ebenso sind die meisten Tabernacoli zumindest indirekt ein Aufruf zum Gebet.

In der Via de Tornabuoni, genau an einer Stelle, an der vier Straßen zusammentrafen, befindet sich dieser Tabernacolo. Der Aufbau ist so üppig gestaltet, dass man das eigentliche Bild darin gar nicht erkennen kann.

Selbstdarstellung: Frömmigkeit und Reichtum

Wie bereits dargelegt, ging es bei den Tabernacoli zum einen darum, die eigene Rechtgläubigkeit bzw. späterhin allgemeiner die eigene Frömmigkeit zur Schau zur Stellen. Das mag für uns heute und auch früher für Protestanten wie oberflächliche Heuchlerei gewirkt haben, aber der Katholizismus war stets eine Religion, die nach außen hin wirkte. Während sich das religiöse Leben in protestantischen Regionen und Ländern vornehmlich in geschlossenen Räumen abspielte, wurde in katholischen Gegenden auch der gesamte öffentliche Raum mit einbezogen: Prozessionen wie die berühmten Karfreitagsprozessionen in Italien und Spanien, Spektakel zu hohen Feiertagen wie der Scoppio del Carro in Florenz und natürlich auch Wallfahrten zeigen dies deutlich. Religion und Frömmigkeit war nichts, was man nur für sich im Stillen praktizierte. Es schloss viele Menschen mit ein, die ganze Gemeinde oder auch die ganze Stadt. Religiöse Riten waren ein gesellschaftliches Ereignis.

Via Faenza: Tabernacolo aus dem 15. Jahrhundert mit einer Rahmung aus dem 18. Jahrhundert

Von daher war die öffentliche Darstellung der eigenen Religiosität keineswegs etwas so Anstößiges, wie wir es heute empfinden. Man stelle sich das nur einmal in einer Stadt wie Florenz vor, mit den engen Gassen, den vielen Tabernacoli, wenn sich dort bei Sonnenuntergang Gruppen von Bruderschaftsmitgliedern trafen, Lichter entzündeten und fromme Lieder sangen. Der öffentliche Raum wurde damit gleichsam sakralisiert. Dies würde für uns heute ein wirklich mystisches, wahrscheinlich auch für viele ein befremdliches Erlebnis sein. Damals war es sehr viel alltäglicher.

Daneben gab es aber auch eine ganz profane Selbstdarstellung. Je größer und prächtiger ein Tabernacolo, desto mehr konnte der Auftraggeber sich selbst präsentieren: Man hatte nicht nur das Geld, ein Andachtsbild anfertigen zu lassen. Nein, man konnte bedeutende Künstler mit der Anfertigung eines riesigen Tabernacolo beauftragen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Tabernacolo delle Fonticine, unweit des Mercato Centrale, der alten Markthalle, gelegen, also an einer der zentralsten Straßen. Das gute Stück hat die Maße 249×197 cm und ist damit der größte Tabernacolo der Stadt. Die ausführenden Künstler waren die Mitglieder der Familie della Robbia, die bekannt war für ihre glasierten Terracotta-Reliefs. Andrea della Robbia hat zum Beispiel die Putti am Ospedale degli Innocenti, dem Waisenhaus der Stadt, gestaltet. Und auch andere Tabernacoli in Florenz stammen aus der Werkstatt dieser Künstlerfamilie. Doch keiner ist so groß und prächtig, wie der Tabernacolo delle Fonticine.

Der Tabernacolo delle Fonticine: der größte Tabernacolo in Florenz

Die Selbstdarstellung konnte übrigens durchaus politische Züge tragen. Ein kleiner Tabernacolo in der Via della Scala soll von Lucrezia di Piero de‘ Medici in Auftrag gegeben worden sein. Sie soll damit an die Rückkehr der Familie Medici nach ihrer Verbannung im Jahr 1494 erinnert haben.

</p> <h4><strong>Der Tabernacolo delle Fonticine<br></strong></h4> <p>

Der größte Tabernacolo von Florenz liegt ebenfalls direkt bei einer touristischen Sehenswürdigkeit: Beim Mercato Centrale, der Großmarkthalle. Hinter den Ständen mit Lederwaren, Kleidung und touristischem Kitsch stößt man auf die Via Nazionale, die geradewegs zum Bahnhof führt. Direkt hier liegt gegenüber der Tabernacolo delle Fonticine. Der Name kommt von den sieben Engelsköpfen aus Marmor, die unter dem großen Relief Wasser in ein Marmorbecken speien. Unzählige Touristen kommen hier jeden Tag vorbei, schieben ihre Koffer zum Bahnhof oder irren – vom Bahnhof kommend – zu ihrem Hotel. Manche halten an und waschen sich hier die Hände oder füllen ihre Wasserflaschen auf (obwohl ich nirgends einen Hinweis gesehen habe, dass es sich um Trinkwasser handelt). Und manche bleiben sogar stehen und machen ein Bild. Aber der Großteil der Menschen auf dieser geschäftigen Straße eilt vorüber, ohne zu sehen, was für große Kunst hier direkt über ihren Köpfen dargeboten wird.

Das Andachtsbild ist 249 x 197 cm groß und wurde, wie erwähnt, von der Familie della Robbia erschaffen, einer Bildhauerfamilie, die für ihre glasierten Terracotta-Reliefs bekannt wurde. Das Bild zeigt die Madonna mit Kind, die von Heiligen umgeben ist. Darunter die Heiligen Jakobus, Katharina von Alexandria und Barbara – alle drei Patrone von umgebenden Kirchen. Der Heilige Lukas, der ebenfalls dargestellt ist, war der Schutzpatron der Familie della Robbia. Die anderen beiden dargestellten Heiligen sind klassische Pestheilige: Rochus und Sebastian. Somit hatte der Tabernacolo sicherlich auch eine Schutzfunktion gegen die Pest oder allgemeiner gegen Seuchen.

Auftraggeber dieses Tabernacolo war die Potenza „Reame di Beliemme“ (Bethlehem). Eine Potenza war wie eine Bruderschaft eine religiöse Vereinigung, die ebenso öffentliche Zeremonien durchführte. Allerdings war sie keine „offizielle religiöse Vereinigung mit durch den Bischof anerkannten Statuten.“ (Weiler-Esser, S. 50). Das tat ihrer Bedeutung allerdings keinen Abbruch. Eine Gemeinschaft, die ein Werk in dieser Größe bei einer bedeutenden Künstlerfamilie in Auftrag geben und an solch zentraler Stelle errichten lassen konnte, verfügte über einige Mittel und Möglichkeiten. Der Name der Auftraggeber ist auch zentral und unübersehbar im Tabernacolo angebracht. Sicher ging es also auch darum, genau diese Mittel und Möglichkeiten der eigenen Potenza allen deutlich sichtbar vor Augen zu führen.

Schutz und Sicherheit

Wer eine Marien- oder Heiligendarstellung an seinem Haus oder seinem Geschäft anbrachte, unterstellte sich damit auch dem Schutz des jeweiligen Heiligen. Es konnte zum Beispiel der Namens- oder Zunftpatron sein, der Schutzheilige des jeweiligen Handwerks, von dem man sich so Schutz erhoffte. So wie katholische Autofahrer heute noch eine Plakette mit dem Heiligen Christophorus im Auto haben und sich dadurch Schutz erhoffen.

Bei wenigen Tabernacoli lässt sich das Bild so genau erkennen wie bei diesem an der Piazza dei Ciompi aus dem 16. Jahrhundert


Die Verkündigungsszene an der Piazza dei Ciompi wird von der Nachmittagssonne so angestrahlt, dass man das Bild gut studieren kann

Schon in der Antike gab es auch die Funktion von Götterbildern oder Sanctuarien an den Wegen oder Wegkreuzungen, um Reisende zu schützen. Auch in Florenz gab es solche Tabernacoli, die an den Straßen lagen, die aus der Stadt herausführten. Zwei solche Beispiele sind der Tabernacolo dell’Olmo und der Tabernacolo di Boldrone. Beide liegen an Ausfallstraßen aus Florenz, die nach Prato und Pistoia führen. Sie befanden sich früher nur knapp vor der Stadt. Beide sind größere, kapellenartige Anlagen, in denen man notfalls auch Schutz finden konnte, quasi wie in einer kleinen Schutzhütte. Leider sind beide auch in sehr schlechtem Zustand.

</p> <h4><strong>Der Tabernacolo di Boldrone<br></strong></h4> <p>

Der Tabernacolo di Boldrone liegt etwas außerhalb – früher lag er vor den Toren der Stadt und auch heute noch liegt er direkt gegenüber des Ortsschildes von Florenz.
Die Straße, an der er liegt, führte weiter nach Sesto Fiorentino, Prato und Pistoia und war damit eine stark bereiste Strecke. Der kleine sechseckige kapellenartige Bau sollte Reisenden Schutz bieten. Seine Bauweise erlaubte auch das Unterstellen und Zuflucht suchen etwa bei Unwettern.

Drei Seiten waren mit Fresken von Jacopo Pontormo bemalt und stammten aus dem 16. Jahrhundert. Sie wurden in den 1950er Jahren abgenommen und in den Palazzo dell’Arte dei Beccai verbracht. Im Tabernacolo selbst, der in sehr schlechtem Zustand und leider völlig vermüllt ist, befinden sich nur noch skizzenhafte Kopien.

Julia Weiler-Esser zitiert in ihrem Katalog der Tabernacoli in Florenz (S. 49) eine Mirakelgeschichte, die mit dieser Kapelle in Zusammenhang steht:

„1193 soll Boldrone di Gualdino auf einer Pilgerreise an dieser Stelle vorbeigekommen sein, ohne dem zuvor bereits bestehenden Tabernacolo ein Gebet zu widmen. Daraufhin überkam ihn eine Lähmung und er konnte sich nicht von dem Orte entfernen. Er ließ sich an dieser Stelle nieder und stiftete ein Kamaldolenser-Kloster.“

Schutz konnte man sich von den Tabernacoli allerdings auch auf einer anderen Stufe versprechen: Es gibt Belege dafür, dass man sich in italienischen Städten vom Anbringen der Tabernacoli eine positive Auswirkung auf die soziale Sicherheit erwartete. (vgl. Muir) Das Bild eines Heiligen war für katholische Gläubige meist mehr als nur ein bloßes Abbild. Man ging vielmehr von einer „Realpräsenz der Kultperson im Bild“ (Angenendt, S. 188) aus. Der Heilige war durch sein Abbild quasi anwesend und im Angesicht eines Heiligen oder der Gottesmutter – so hoffte man – würden die Menschen von Missetaten Abstand nehmen. Wer wollte bei einem Diebstahl schon von der Jungfrau Maria mit tadelnden Blick beobachtet werden? Ob dieses Konzept wirklich so aufging, darf gerne bezweifelt werden. Bekanntlich wurden auch Kirchen schon leergeraubt. Auch wenn die Mirakelliteratur voll ist von Geschichten, in denen ein Räuber von Reliquien oder Kirchenschätzen später bitter büßen musste.

Möchte man unter diesen strengen Blicken eine Straftat begehen?

Den Beitrag zur öffentlichen Sicherheit trugen Tabernacoli allerdings noch in ganz anderer Form bei: „Vor ihnen wurde während der Laudes ein Öllämpchen angezündet, welches die ganze Nacht hindurch brannte und so hatte Florenz, in der es keine öffentliche Beleuchtung gab, neben dem Schutz der Jungfrau ein Minimum an Sicherheit im Dunkel der Nacht.“ (Weiler-Esser, S. 42) Mit diesem Wissen überrascht es auf einmal wenig, an welchen vermeintlich ungewöhnlichen Orten man die Tabernacoli findet. Man würde erwarten, dass jemand, der eine solche Andachtsstätte in Auftrag gibt, große Straßen oder Plätze dafür wählen würde. Orte, an denen die Tabernacoli gesehen werden und an denen Menschen vielleicht auch anhalten und ein Gebet sprechen können. Stattdessen findet man an zahlreichen dunkeln Durchgängen, die von größeren Straßen zu schmalen Gassen abzweigen, häufig solche Gemälde. Es ist dort so dunkel, dass man sie häufig nur schwer erkennen kann. Ganz eindeutig wurden sie hier nicht angebracht, um mit ihrer Schönheit zu glänzen und als Kunstwerk bestaunt zu werden. Wenn man allerdings weiß, dass dort in früheren Zeit Lichter brannten, ergibt die Anbringung der Heiligenbilder an dieser Stelle auf einmal sehr viel mehr Sinn.

in schmalen Durchgängen wie diesem hier, der zur Via Santa Margherita führt, findet man häufig Tabernacoli. Wieso? Hier kann sie doch keiner wirklich betrachten? Ganz einfach…


Nachts brannte schon in der Vergangenheit vor diesen Tabernacoli ein Licht. Damit wurden die dunklen, schmalen Durchgänge beleuchtet. Eine frühe Form der Straßenbeleuchtung

Ein letzte Sicherheits- und Schutzfunktion, die ich hier anführen möchte, erscheint uns nach den Erlebnissen der Jahre seit 2020 auf einmal sehr viel nachvollziehbarer: In Zeiten der Pest oder anderer Seuchen dienten größere Tabernacoli als Freiluftkirchen. Sie waren an Straßenkreuzungen angebracht, so dass sie von vielen Seiten aus eingesehen werden konnten und die Menschen sich so nicht zusammendrängen mussten – v.a. nicht in einem geschlossenen Raum.

</p> <h4><strong>Der Tabernacolo delle Cinque Lampade<br></strong></h4> <p>

Fast jeder Tourist in Florenz kommt hier vorbei: Beim Tabernacolo delle Cinque Lampade – dem Tabernacolo der fünf Lampen. Er befindet sich in der Via Ricasoli, nur wenige Schritte vom Dom entfernt, in der Straße die zur Galleria dell’Accademia führt.

Julia Weiler-Esser datiert ihn auf die Zeit der großen Pest 1348, wobei über den Anlass nichts weiter bekannt ist und auch der Auftraggeber ist unbekannt.
Der Tabernacolo besteht aus zwei Nischen mit Bildern, von denen nur das rechte noch gut erhalten ist. Es ist allerdings durch die Scheiben, die davor angebracht sind, kaum möglich, viel zu erkennen. Vor den Nischen hängen die fünf namensgebenden Lampen. Unter den Bildern gab es einen Opferstock, in den man Geld einwerfen konnte, um damit die Lampen zu bezahlen.

Der Tabernacolo delle Cinque Lampade in Florenz

Der Tabernacolo delle Cinque Lampade

Votivbild: Dank für Hilfe

Tabernacoli in Florenz konnten auch die Funktion eines Votivbildes haben. Das heißt, dass sie angebracht wurden, um sich für göttliche Hilfe oder die Hilfe eines Heiligen zu bedanken. Der Stiftung eines öffentlichen Heiligenbildes ging sicher häufig ein Verlöbnis voraus, also das Versprechen des Gläubigen bei Gewährung von Hilfe (etwa der Heilung von einer Krankheit) einen Tabernacolo errichten zu lassen.

Ein Beispiel ist etwa der Tabernacolo in der Via Reginaldo Giuliani in Firenze-Rifredi, also ein ganzes Stück außerhalb des Innenstadtbereichs. Die Familie Bartolini Baldelli errichtete ihn „per grazie ricevuta“ – also „für erhaltene Gnade“ – im Jahr 1828 (obwohl nicht ganz klar ist, ob sich das Datum nicht nur auf den Tag bezieht, an dem die Familie die „Gnade“ erhielt).

Wer sich mehr für diesen Themenkomplex interessiert, findet dazu mehr Informationen in meiner Artikelreihe über Wallfahrten:

</p> <h4><strong>Der Tabernacolo del Velo della Veronica<br></strong></h4> <p>

In der Via degli Alfani – in der gleichen Straße wie der unten genannte Tabernacolo zur Erinnerung an den Aufenthalt Luigi Gonzagas – befindet sich ein weiterer Tabernacolo, der einen Blick verdient: der Tabernacolo del Velo della Veronica (dt. „Schleier der Veronika“. Gemeint ist natürlich das Schweißtuch der Veronika, das diese angeblich Jesus auf seinem Weg zur Kreuzigung gereicht habe, um sich damit das Gesicht abzutrocknen. Auf wundersame Weise sei daraufhin der Abdruck seines Gesichts auf dem Tuch verblieben. Da dass Schweißtuch zusammengelegt wurde,habe sich der Abdruck vervielfältigt, so dass heute eine ganze Reihe dieser Schweißtücher bekannt sind.)

Das Abbild des Velo della Veronica befand sich ursprünglich nicht in dieser Nische. Eine Inschrift unter dem Tabernacolo berichtet, dass ein Giovan Battista Biagiotti (über den offenbar sonst nicht wirklich etwas bekannt ist) hier im frühen 18. Jahrhundert ein Bild der Maria Immacolata aufstellte, dass große Verehrung genoss und 1796 in einer Prozession in den Dom verbracht wurde.
Die Zeit ist wohl nicht ganz zufällig, denn um 1796 gab es im Zuge der Französischen Revolution große politische und religiöse Spannungen auch in Italien. Die gemeldeten Wunder vervielfachten sich, auch vor dem hier aufgestellten Bild geschah ein solches „Wunder“: Vor dem Bild waren zwei Lilienzweige aufgestellt, die spontan zu blühen begannen. Das wenige Wasser in der Vase hielt offenbar sehr lange an. Das genügte in dieser emotional aufgeladenen Zeit offenbar schon, um als Wunder zu gelten.
Das verehrte, wundertätige Marienbild soll nach wie vor im Dom stehen, zumindest habe ich auf Wikipedia den Hinweis darauf gefunden, dass das Bild auf dem „Altar der Immacolata“ im Dom von Florenz genau dieses verehrte Marienbild aus dem Tabernacolo in der Via degli Alfani sein soll. Es macht mich allerdings etwas stutzig, dass ich diesen Hinweis nirgendwo sonst hatte finden können. Zu diesem Punkt werde ich wohl noch einige Bücher durchwühlen müssen und hoffe, das Rätsel hier noch aufklären zu können.

Das Bild des Velo della Veronica mit dem Antlitz Christi kann also erst seit dem späten 18. Jahrhundert hier sein. Vor dem Bild hängen silberne Votivgaben, wie man sie auch aus Wallfahrtsorten kennt. Ob sich diese Votivgaben auf das zuvor hier angebrachte Marienbild beziehen oder auf den Schleier der Veronica ist nicht wirklich erkennbar.

Erinnerung

Öffentlich angebrachte Kleindenkmäler dienen sehr häufig der Erinnerung. Sie sollen an bedeutsame Geschehnisse erinnern. Das beginnt bei den bekannten „In diesem Haus wohnte Goethe im Jahr…“-Platten und geht bis zu Gedenkkreuzen an den Stellen, an denen jemand ums Leben gekommen ist.

Wenn sich an einem Ort ein Heiliger aufgehalten hat, dann konnte man quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man konnte einen Tabernacolo anbringen, der gleichzeitig daran erinnerte, dass sich der Heilige hier einmal aufgehalten hatte.

Zwei Beispiele aus Florenz:

In der Via degli Alfani 34 wohnte einmal der junge Luigi Gonzaga. Der Tabernacolo, der Luigi im Priestergewand zeigt, wurde 1688 im Auftrag von Cosimo III., dem Großherzog der Toskana, geschaffen. Die lateinische Inschrift sagt Folgendes (Übersetzung nach Weiler-Esser, Katalog, S. 18):

Schau, oh Reisender, das Bild des Heiligen Luigi Gonzaga von der Compagnia di Gesù und küsse andächtig den Ort, an dem er sich aufhielt. Im Alter von neun Jahren begann der Junge sein Noviziat. Der Hof und unsere blühende Stadt bewunderten ihn, als er der Heiligen Jungfrau die reinste Blüte seiner Keuschheit schenkte. Dieses Haus, das den großen Gast beherbergte, fühlt sich geehrt, in aufgenommen zu haben, als er in so zartem Alter seine religiösen Übungen begann. Und damit diese große Ehre des Hauses und der Stadt nicht in Vergessenheit gerate, wurde dieses Denkmal durch den friedvollen Cosimo III, Großerzog der Toscana, im Jahr unseres Heils, 1688, veranlasst.

Ein zweiter „Erinnerungs-Tabernacolo“ befindet sich an der Piazza Sant‘ Ambrogio und zeigt den gleichnamigen Heiligen, den Hl. Ambrosius, Bischof von Mailand. Im Jahr 403 hatte er sich in Florenz aufgehalten und der Tabernacolo aus dem späten 15. Jahrhundert, der den Heiligen Ambrosius zeigt, soll diese Stelle kennzeichnen, an der er damals gewohnt hat.
Die Steintafel darunter erläutert aber nicht etwa diese Erinnerungsfunktion des Ambrogio-Tabernacolos, wie man es erwarten könnte (und wie wir es oben beim Luigi Gonzaga-Tabernacolo gesehen haben), sondern erinnert an eine andere Begebenheit: An einen Besuch Papst Pius VII. 1805 in Florenz. Der Papst war laut Inschrift durch die angrenzenden Stadtviertel gezogen und hatte den „gläubigen und demütigen Bewohnern“ den Apostolischen Segen gegeben.


Aufruf zum Gebet

Egal warum ein Tabernacolo ursprünglich errichtet worden sein mag, fast alle waren auch ein Aufruf an die Passanten, kurz innezuhalten und zu beten, eine Funktion, die man auch von vielen Feldkreuzen im deutschsprachigen Raum kennt, auf denen der „Wanderer“ direkt angesprochen wird, der kurz eine Pause in seiner Wanderung machen soll, um Christi zu gedenken. In einer Stadt wie Florenz ging es wohl eher darum, im Alltagstrubel einen Moment zur Ruhe zu kommen und ein Gebet zu sprechen. 
Auch der Tabernacolo, der zur Erinnerung an den Aufenthalt von Luigi Gonzaga von Cosimo III., Großherzog der Toskana in Auftrag gegeben worden war, enthält eine Inschrift, die mit „Schau, oh Reisender“ einsetzt. Auch hier ist der Vorbeieilende direkt angesprochen, der kurz innehalten soll. Eine zumindest indirekte Aufforderung zum Gebet findet sich auch hier.
Andere Tabernacoli befanden sich auf dem Weg zu Krankenhäusern oder an dessen Mauern. Sie könnten durchaus zu einem Gebet für die dort liegenden Kranken aufgerufen haben. Der Aufruf zu Andacht und Gebet, der bei den meisten Tabernacoli sicher auch eine Rolle spielte, ist allerdings kaum direkt als Anlass zur Errichtung belegbar.

Ecke Via Cennini und Via Faenza: Das Bild wurde wahrscheinlich von Mönchen eines nahegelegenen Klosters gestiftet und sollte die Vorbeikommenden zum Gebet auffordern

</p> <h4><strong>Der Tabernacolo der Compagnia Buonomini<br></strong></h4> <p>

Im Gegensatz zu vielen anderen Tabernacoli in Florenz ist dieser hier in sehr gutem Zustand und auch das Bild ist sehr gut zu erkennen: Es handelt sich um den St. Martins-Tabernacolo der Compagnia Buonomini auf der kleinen Piazza San Martino, direkt neben der Kirche San Martino.

Tabernacolo San Martino an der Piazza San Martino

Die Compagnia Buonomini (von ital. buono = gut und uomini = Männer) ist eine Bruderschaft, die im frühen 15. Jahrhundert vom Heiligen Antonino, dem Prior des Klosters von San Marco gegründet wurde. Sie war dem Heiligen Martin unterstellt und ihre Aufgabe war es, den Armen der Stadt mit Almosen zu helfen, die sich zu sehr schämten, um in den Straßen zu betteln. Unter dem Tabernacolo gibt es bis heute einen Opferstock, wo man für diesen guten Zweck spenden kann, denn auch heute noch helfen die Buonomini in Not geratenen Personen, allerdings kann man sich heute schriftlich an sie wenden.
Früher musste man vor dem Tabernacolo eine Kerze anzünden, wenn man der Compagnia von einem Notfall berichten wollte.

Das Bild des Tabernacolo stammt aus dem späten 17. Jahrhundert und wurde nach dem Hochwasser von 1966 restauriert. Es zeigt den Heiligen Martin, den Bischof von Tours, wie er Almosen verteilt. Im Zwickel über der Tür ist übrigens der Gründer der Compagnia, Sant‘ Antonino, dargestellt.

Tabernacolo der Zunft der Ärzte und Gewürzhändler an der Ecke der Piazza Santa Maria Novella (15. Jahrhundert)


Verwendete Literatur

Ich hatte sehr bald nach meiner Ankunft in Florenz die Idee, einen Artikel über die vielen, an quasi jeder zweiten Ecke der Altstadt angebrachten Heiligenbilder zu schreiben. Wer meinem Blog schon länger folgt, weiß, dass ich mich im Geschichtestudium viel mit Religions- und Frömmigkeitsgeschichte befasst habe und auch auf dem Blog diese Themen immer wieder aufgreife. Als mir dann auf der Arbeit die Dissertation von Julia Weiler-Esser  in die Hände fiel, die eine echte Fundgrube für jede an den Tabernacoli interessierte Person ist, war klar, dass dieser Artikel nicht mehr lange auf sich warten lassen würde.

In der Via Ricasoli

Die Arbeit Weiler-Essers bietet nicht nur einen Katalog mit den Tabernacoli aus Florenz, Rom und Venedig bis 1700, sondern sehr viele Hintergrundinformationen zur Funktion der Tabernacoli, aber auch zu einzelnen Bauwerken:

Julia Weiler-Esser: Tabernacoli im Italien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Hamburg 2019.
Den zugehörigen Katalogteil gibt es zum Download im Internet.

Arnold Angenendt: Heilige und Reliquien. Die Geschichte ihres Kultes vom frühen Christentum bis zur Gegenwart, 2. überarbeitete Auflage, Hamburg 2007.

Peter Hersche: Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter. 2 Bde, Freiburg 2006.

Edward Muir: The Virgin on the Street Corner: The Place of the Sacred in Italian Cities, in: Steven Ozment (Ed.), Religion and Culture in the Renaissance and Reformation, Kirksville, MO 1989, S. 25-40.

Tabernacolo der Zunft der Ärzte und Gewürzhändler an der Ecke der Piazza Santa Maria Novella (15. Jahrhundert)


Ich hoffe, ich konnte euch hier einen neuen Aspekt von Florenz aufzeigen. Vielleicht sind euch bei eurem letzten Besuch in der Stadt auch einige dieser Tabernacoli aufgefallen? Sicherlich werdet ihr nach der Lektüre dieses Artikels noch viele weitere bemerken, wenn ihr wieder einmal in der Stadt seid. Ich würde mich freuen, wenn ich euch dazu anregen konnte, in Florenz – oder auch in einer anderen italienischen Stadt – den Blick öfter mal in die Höhe zu richten, an Straßenecken und an Hauswände, um dort diese kleinen, oft versteckten Kunstwerke zu bemerken, die seit Jahrhunderten sich dort befinden und so oft im Trubel heute gar nicht mehr richtig wahrgenommen werden. Natürlich nenne ich hier einige besondere Tabernacoli ganz direkt, aber eigentlich geht es darum, euch selbst zum Entdecken aufzufordern: Vielleicht schaut auch ihr jetzt einmal genauer hin, wieviele Tabernacoli es doch in der Stadt gibt, wie versteckt sie manchmal sind, was wirklich dort dargestellt ist und was es dabei alles zu entdecken gibt.

Bei eurem Besuch in Florenz werden ihr hoffentlich die Tabernacoli eines Blickes würdigen


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6 Gedanken zu “Tabernacoli in Florenz: Vormoderne Street-Art

  1. Hallo Ilona,
    Was für ein interessanter Beitrag!
    Oft fragt man sich ja, wie was so entstanden ist.
    Dank dir weiß ich jetzt, wie sich Street Art so entwickelt hat.

    Viele Grüße
    Lara

  2. Hallo Ilona,

    wenn man in Bayern wohnt, dann ist man sehr ähnliche „Gebilde“ von vielen Straßenecken gewohnt.
    Allerdings habe ich mir noch nie so wirklich Gedanken über die Marterl gemacht. Umso interessanter ist dein ausführlicher Artikel über die Tabernacoli in Florenz. Ich denke mal, sie werden überall in Italien zu finden sein, oder?

    Spannend auch dein Bogen und die Erläuterung über Street Art.

    Viele Grüße aus Bayern nach Bella Italia, Katja

  3. Ich kenne diese „Gebilde“, wie Katja sie nennt, auch aus Bayern! Auch wenn ich dort erst zweimal war! Aber in Florenz scheint es ja wirklich besonders viele davon zu geben und so schöne zum Teil! Schade, dass der Zahn der Zeit schon an einigen genagt hat! Aber wenn ich mal nach Florenz kommen sollte, werde ich auch Tabernacoli zählen 🙂

    Liebe Grüße
    Jana

  4. Mir sind diese Tabernacoli schon öfters aufgefallen, muss aber ehrlich sagen, ich habe ihnen selten einen zweiten Blick geschenkt. Ich hatte ja keine Ahnung, wie viel Geschichte hinter diesen stecken – wirklich spannend.

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