Valcamonica – Felsbilder in der Lombardei: Italiens erste UNESCO Welterbestätte [+ Karte]

Valcamonica, Val Camonica oder Valle Camonica – drei Namen für dasselbe Tal: Das Tal des Flusses Oglio, der von Norden kommend in den Lago d’Iseo mündet.

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Falls ihr jetzt keine Ahnung habt, wovon ich spreche, dann seid getröstet: So ziemlich jeder, dem ich von meinen Urlaubsplänen erzählte, hatte Probleme damit, das Valcamonica einzuordnen. Auch ich bin nur deshalb darüber gestolpert, weil ich die Liste der italienischen UNESCO-Stätten durchgelesen habe: Denn das Valle Camonica ist die erste UNESCO-Welterbestätte Italiens!

Berühmt wurde es – zumindest in Archäologenkreisen – nachdem zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwei große mit Felsbildern geschmückte Felsbrocken gefunden wurden. In den folgenden Jahrzehnten kamen weitere Entdeckungen hinzu und bei der Aufnahme in die UNESCO-Liste 1979 waren 140.000 Figuren bekannt.

Inzwischen sind es zwischen 200.000 und 300.000. Auch megalithische Kultstätten wurden in der Zwischenzeit gefunden und archäologisch untersucht.

Valcamonica Fels Nr. 35 im Park von Naquane trägt viele Felsbilder.

Dennoch scheint das Valcamonica nach wie vor relativ unbekannt zu sein: Obwohl es unweit des touristisch überlaufenen Gardasees liegt, verirren sich eher vergleichsweise wenige Touristen in dieses landschaftlich schöne Gebirgstal. Die derzeitigen Pläne, die Ausgrabungsstätten museumspädagogisch zu modernisieren, werden daran hoffentlich etwas ändern. Denn was man hier zu sehen bekommt, ist wirklich einen Besuch wert!

Seid ihr neugierig geworden? Dann kommt mit ins Valcamonica in der Lombardei.

Vorneweg: Ich selbst bin keine Ur- und Frühgeschichtlerin. Mein eigener fachlicher Schwerpunkt lag doch deutlich später. Bei den im folgenden getroffenen Aussagen, beziehe ich mich auf die am Ende des Artikels verlinkte Literatur.
Ich freue mich über Ergänzungen in den Kommentaren von Kolleginnen und Kollegen, die in diesen Epochen firmer sind als ich.

Wo liegt das Valcamonica in Italien?

Das Valcamonica – auch Valle Camonica – liegt in Norditalien in den Alpen, in der Provinz Brescia in der Region Lombardei. Ein kleiner Teil im Süden liegt in der Provinz Bergamo.
Das Tal ist etwa 70 km lang und führt vom Tonale Pass im Norden bis zum Iseo-See im Süden. Durchflossen wird das Tal vom Fluss Oglio, der in den Lago d’Iseo mündet.

Der größte Ort des Valcamonica, Darfo Boario Terme, ist etwa 60 km von Brescia und Bergamo entfernt. Bis zum Gardasee (Desenzano) sind es etwa 86 km.


Die Felsbilder des Valcamonica: Italiens erste UNESCO-Welterbestätte

Eine kurze Geschichte der Felsbilder im Valcamonica

Die ersten Felsbilder – ein anderes Wort dafür ist „Petroglyphen“ oder „Pitoti“ – des Valcamonica findet ihr im Park von Luine in Darfo Boario Terme. Sie stammen aus dem Paläolithikum und sind bis zu 13.000 Jahre alt. Dies ist allerdings eine erste, isolierte Phase der Felskunst der Region. Ab der späten Steinzeit (etwa ab dem 5. Jahrtausend vor Christus) zieht sich die Tradition der Felsbilder ohne Unterbrechung dann durch alle Epochen der Ur- und Frühgeschichte.

Ur- und Frühgeschichte
Unter Urgeschichte – mitunter auch mit den Adjektiven „prähistorisch“ oder „vorgeschichtlich“ versehen – versteht man in der Archäologie und Geschichtswissenschaft jene Epochen aus denen es noch keine schriftlichen Quellen gibt und man für die Erforschung somit vollständig auf die materiellen Funde und Untersuchungen der Archäologie angewiesen ist.

Die Frühgeschichte befasst sich dagegen mit den Epochen und Kulturen, aus denen bzw. über die erste schriftliche Zeugnisse überliefert sind. Mitunter stammen diese schriftlichen Quellen allerdings von Externen. Die Römer sind hierfür ein Paradebeispiel, da sie über andere Völker und Stämme geschrieben haben, auch wenn diese Völker selbst keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen haben (zum Beispiel über die Kelten oder Germanen).

In einigen Bereichen Europas zieht sich die Ur- und Frühgeschichte also bis zum Eintreffen der Römer, die ihre Schriftkultur mit sich brachten und begannen, über die Völker zu schreiben. In anderen Bereichen – in denen die Römer zum Beispiel nie waren – entwickelte sich die Schriftkultur erst später. Deshalb kann die Ur- und Frühgeschichte – je nach Region des Kontinents – sehr unterschiedliche Zeiträume umfassen.

Zur Ur- und Frühgeschichte gehören auch die sogenannten „Metallzeitalter“, also Kupfer-, Bronze- und Eisenzeit. Vor allem letztere – ganz besonders die Eisenzeit (ca. 900 – 16 vor Christus) – waren für die Felskunst des Valcamonica bedeutsam. Man schätzt, dass etwa Dreiviertel der bekannten Felsbilder im Tal aus der Eisenzeit stammen. Das bevorzugte Motiv war dabei der Krieger. In diesem letzten vorchristlichen Jahrtausend lebten im Valcamonica die Camunni (eine lateinische Bezeichnung, die sie von den Römern erhalten haben, und die dem Tal seinen heutigen Namen gab). Die Camunni unterhielten Beziehungen zu benachbarten Stämmen, wie den Rätern, den Venetern oder auch den Etruskern.

Der Krieger - hier im Park von Naquane - gehört zu den häufigsten Darstellungen auf den Felsbildern des Valcamonica

Der Krieger – hier im Park von Naquane – gehört zu den häufigsten Darstellungen auf den Felsbildern des Valcamonica

Die Römer eroberten das Valcamonica im Jahr 16 vor Christus und wie auch in anderen von ihnen beherrschten Regionen, unterdrückten sie lokale Traditionen nicht. Deshalb gibt es teilweise lateinische Felsinschriften. Auch vorrömische Kultstätten – etwa bei den Massi di Cemmo – wurden in der römischen Zeit weitergeführt.

Einige wenige Beispiele für Felsritzungen gibt es noch aus der Zeit des 14. – 16. Jahrhunderts. Aber dies sind eher Ausnahmen. Die Felsbilder des Valcamonica sind im Gros ein ur- und frühgeschichtliches Phänomen und endete mit dem Fall der römischen Verwaltung und der Durchsetzung des Christentums.

Entdeckung, Erforschung und Aufbereitung der Felsbilder

1909 entdeckte der junge Walther Laeng (auf Italienisch auch: Gualtiero Laeng) zwei Felsbrocken mit Felsbildern in der Nähe von Capo di Ponte – die Massi di Cemmo. Er beschrieb sie auch in der ersten Ausgabe des Reiseführers des Touring Club Italia im Jahr 1914. Allerdings erregten seine Publikationen noch kein großes Interesse – weder in der Forschungswelt noch unter interessierten Laien.
Es dauerte bis in die 1930er Jahre, bis weitere Entdeckungen gemacht wurden. Damals wurden auch die Felsbilder in Seradina entdeckt. Und nun ging alles sehr schnell: In schneller Folge wurden Felsbilder in Naquane, Foppe di Nadro, Cimbergo und Paspardo gefunden. Es war die Zeit des Faschismus und einige faschistische Forscher – italienische wie deutsche – versuchten, die Felsbilder in ihre rassistischen Theorien einzupassen. Unter anderem glaubte man, hier Einflüsse einer vorgeschichtlichen „Arischen Rasse“ auszumachen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die Untersuchungen weiter und die Felsbilder bei Darfo Boario Terme wurden entdeckt. 1955 wurde in Naquane der erste archäologische Park Italiens eingerichtet, der etwa 100 Felsen mit Bildern umfasste.
In den 1970er Jahren folgte die Einrichtung des Archäologischen Parks von Luine (Darfo Boario Terme), 1988 kam das Gebiet von Ceto-Cimbergo-Paspardo hinzu. 1979 war das Gebiet bereits von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden – als erster Ort in Italien.

Es dauerte bis in den 2000er Jahre, bis wieder Bewegung in die Sache kam: Ausgrabungen führten zu weiteren Entdeckungen – etwa bei den Massi di Cemmo – und zur Einrichtung einer Arbeitsgruppe und eines Aktionsplans im Jahr 2006. Der Park der Massi di Cemmo sowie der in Seradina-Bedolina wurden 2005 eingerichtet. Sellero folgte 2008 und im Jahr 2014 eröffnete das Museum der Ur- und Frühgeschichte des Valle Camonica in Capo di Ponte.

Trotz der Entdeckung im Jahr 1909 und der frühen Aufnahme in die UNESCO-Liste, sind also viele Anstrengungen der Erforschung und Aufbereitung der Felsbilder des Valcamonica noch relativ jung.

Die Deutung der Felsbilder des Valcamonica

Die Bedeutung der einzelnen Felsbilder des Valcamonica ist nach wie vor umstritten. Man erkennt menschliche Figuren, man erkennt verschiedenen Tiere: Hunde, Hirsche, Rinder, Pferde und Vögel. Hirsche und Pferde machen dabei etwa 60% der Tierdarstellungen in den Felsbildern des Valcamonica aus.
Auch Jagd- und Kampfszenen sind zu erkennen, Waffen, wie Dolche oder Äxte.

Doch warum wurden diese Bilder auf die Felsen geritzt? Welche Bedeutung hatten diese Felsbilder?
Kurz gesagt: Nichts Genaues weiß man nicht. Es gibt zahlreiche Theorien und Erklärungsversuche. Aber da – aufgrund des Fehlens von schriftlichen Quellen – uns die Gedankenwelt der damaligen Bewohner des Tales völlig fremd ist, kann man nicht mit Sicherheit wissen, was die Bilder bedeuten sollen.
Ich möchte euch hier deshalb einen kleinen Überblick über verschiedene Interpretationen geben:

Initiation oder religiöser Ritus?

Bei den Kampfszenen wurde diskutiert, ob sie wirklich Kriegsszenen darstellen, denn vollständige Schlachtenszenen gibt es so gut wie gar nicht. Einige der Figuren wirken auch, als würden sie tanzen.
Man geht heute eher davon aus, dass es sich um rituelle Kämpfe handelt, nicht um kriegerische Taten. Möglicherweise – so eine Deutung – stellen die abgebildeten Jagden und Kämpfe Initiationsriten dar, mit denen junge Männer in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen wurden.

Zwei Paare von Kämpfenden – links mit Schwertern, rechts mit Fäusten – auf einem Felsen der Foppe di Nadro im Valcamonica

Vielleicht war auch die Anfertigung der Felsbilder selbst ein Initiationsritus – oder ein religiöser Akt? An einigen Stellen wurden mehrere Schichten von Ritzungen übereinander angebracht. Das mag daraufhin deuten, dass es den Erschaffern mehr um den Akt der Zeichnung ging, als um das fertige Bild. Manche Felsbilder sind an Stellen angebracht, wo das Anbringen nicht ungefährlich war – war der Akt der Erstellung des Felsbildes Teil der Initiation, bei dem die jungen Männer ihren Mut und ihre Geschicklichkeit beweisen mussten?

Andere sehen – meiner Meinung nach mal mehr, mal weniger überzeugend – Hinweise darauf, dass die Felsbilder mit Toten- und Ahnenkult verbunden sind oder gar eine Art „Pforte ins Jenseits“ darstellen könnten.

Einige antropomorphe Figuren sind deutlich von den anderen abgehoben, sei es durch die Größe oder durch die Kleidung bzw. die Haartracht, wie im folgenden Beispiel der Foppe di Nadro bei Capo di Ponte. Eine Vermutung ist, dass es sich hier um religiöse Figuren handelt: Götter, Priester, Schamanen oder mythische Helden. Welche Funktion sie genau hatten und in welcher Situation sie dargestellt sind, bleibt unklärbar. Vielleicht zeigt die hervorgehobene Darstellung auch einfach einen höheren sozialen Rang ganz weltlicher Natur?

Die „Betenden“

Die Betenden, auf Italienisch „Oranti“, sind menschliche Figuren mit erhobenen Armen. Ob sie beten, tanzen oder gar kämpfen ist nicht auszumachen – genauso wenig, wie sehr diese drei Aktivitäten wohl auch überlappend gewesen sein mochten.
Diese Form der Darstellung findet sich über einen Zeitraum von knapp 3000 Jahren in den Felsbildern des Valcamonica, von der Jungsteinzeit bis zum Beginn der Eisenzeit. Dabei wurde die Form der „Betenden“ in all dieser Zeit nur leicht abgeändert.

sogenannte „Betende“ auf Fels Nr. 50 im Park von Naquane, Valcamonica

Fußspuren

Eine der häufigsten Darstellungen sind Fußabdrücke – einer davon wurde sogar zum Logo des Valle Camonica als „Valle dei Segni“ (Tal der Zeichen) erklärt.
Einige interpretieren diese Fußspuren als Manifestation von Göttern – sozusagen ein Zeichen ihrer göttlichen Gegenwart (vielleicht kann man sich das vorstellen, wie die christliche Legende von Christi Fußabdrücken in Domine, Quo Vadis in Rom). Andere sehen es als Votivbild, das Gläubige oder Pilger auf den Felsen hinterlassen haben – oder sehen auch hier Spuren der Initiation, quasi der „Schritt“ von der Jugend in das Erwachsenenleben.

Und wieder andere weisen daraufhin, dass im ganzen Valcamonica Erzminen existierten und Minen und Eisengewinnung und -verarbeitung im europäischen Volksglauben mit Zwergen oder anderen kleinwüchsigen Wesen in Verbindung gebracht werden. Schließlich seien die Fußabdrücke auf den Felsen zu klein, um die Fußabdrücke Erwachsener zu sein.
Ob natürlich die Assoziation von kleinwüchsigen Fabelwesen und Minen bereits vor 3000 Jahren existierte, bleibt fraglich. V.a. da die Idee des Zwergenvolkes in Zusammenhang mit Metallverarbeitung aus der nordischen Mythologie stammt.

Das „Schaufel“-Symbol

Eine weitere häufige Darstellung ist das sogenannte „Schaufel-Symbol“. Eigentlich weiß man nicht einmal genau, ob es eine Schaufel darstellen soll oder etwas völlig anderes. Zur Beschreibung blieb der Ausdruck der Schaufel, trotz der Tatsache, dass die eigentliche Deutung unklar ist. Ähnliche Felsbilder wurden auch in Schweden, Frankreich und auf der iberischen Halbinsel gefunden.
Einer der zahlreichen Erklärungsversuche weist auf die Ähnlichkeit mit Bronzeschaufeln hin, die man in Gräbern fand, und die wohl dazu dienten, die Überreste der verbrannten Leichen aufzusammeln.

Die „Rosa Camuna“

Das berühmteste Felsbild des Valcamonica ist die sogenannte „Rosa Camuna“. Mit einer Rose hat es eigentlich nicht viel zu tun und wird auch kaum als solche gedeutet.
Die Geister scheiden sich auch hier und es gibt keine schlüssige Erklärung, was es sein könnte. Die Deutungen reichen von einem Sonnensymbol, über ein Symbol der Weiblichkeit bis zur (mal mehr, mal weniger scherzhaften) Behauptung, es seien Raumschiffe. Schließlich zeige die berühmte Abbildung der Foppe di Nadro den sogenannten „Astronauten“ direkt unter einer Rosa Camuna, von der aus ein Pfeil hinab zur Figur zeigt.

Sicher ist, dass die Region Lombardei eine stilisierte Rosa Camuna als Logo der Region wählte.


Wo kann man die Felsbilder im Valcamonica sehen? [+Karte]

Die Felsbilder findet man im gesamten Valcamonica. Die ältesten kann man direkt am Eingang des Tales sehen, in Darfo Boario Terme. Die höchste Konzentration findet sich im mittleren Tal, rund um Capo di Ponte.

Details
Valcamonica: Felsbilder

Neben den hier unten aufgeführten Orten gibt es noch den archäologischen Park von Asinino-Anvòia und den Parcours „Coren delle Fate“ in Sonico (zu letzterem gibt es auch einen Audio-Guide).


„Parco di Naquane“ in Capo di Ponte

Der „Parco nazionale delle incisioni rupestri di Naquane“ war der erste archäologische Park, der 1955 im Valle Camonica – und in ganz Italien! – gegründet wurde.

Naquane liegt an einem östlich ausgerichteten Hang mit wunderbarem Blick ins Tal und auf das Bergmassiv der Concarena.



Auf über 14 Hektar kann man in diesem Freilichtmuseum 104 Felsen mit Felsritzungen bewundern, darunter „la grande roccia“ – der große Felsen – bzw. „Roccia Nr. 1“, der besonders reich mit Kampf- und Jagdszenen geschmückt ist, mit dem Schaufelsymbol und der auch das berühmte Labyrinth trägt. Alleine dieser Felsen ist, meiner Meinung nach, den Besuch absolut wert!
Die ältesten Felsbilder von Naquane reichen bis ins Neolithikum (Jungsteinzeit, in Europa etwa zwischen 5800 und 4000 v. Chr.) zurück, die meisten stammen allerdings aus der Eisenzeit (etwa letztes vorchristliches Jahrtausend).




Sowohl die Homepage als auch die Informationstafeln vor Ort sind leider recht altbacken und werden dem, was man hier zu sehen bekommt, überhaupt nicht gerecht. Allerdings gibt es einen Audio-Guide, der die Felsen erklärt (auf italienisch, englisch, deutsch und französisch).
Manchmal ist es schwierig, herauszufinden, WO auf den Steinen man die Felsbilder überhaupt finden soll und man muss sich etwas „einsehen“. Man schult beim Besuch den Blick etwas und im Laufe des Rundgangs wird es einfacher, etwas zu erkennen. Zumindest ging es uns so.

Informationen zu Eintrittspreisen und Öffnungszeiten findet ihr auf der offiziellen Homepage.

Berühmte Felsbilder aus Naquane

Jagdszenen auf Felsen Nr. 1: Hirsche

Roccia Nr. 1 wird auch als „der große Felsen bezeichnet“. Er misst ca. 34×8 m. Seine Oberfläche ist von den Gletschern glatt geschliffen und er ist mit etwa 2000 in den Fels geritzten (bzw. geschlagenen) Figuren geschmückt. Etwa 65 m² bedecken sie. Darunter zahlreiche Jagdszenen, wobei das Beutetier jeweils ein männlicher Hirsch ist.

Der Hirsch gehörte zu den wichtigsten Wildarten und war eine wichtige Speise der damaligen Zeit. In vielen vorgeschichtlichen Kulturen scheint er auch eine immense religiöse Rolle gespielt zu haben. Dabei wird der Hirsch auch als ein Symbol für (männliche) Fruchtbarkeit und Kraft gedeutet.

Das Labyrinth auf Felsen Nr. 1

Das Labyrinth, das man auf Felsen Nr. 1 sehen kann, gehört zum „kretischen Typ“. Es ist kein Irrgarten, es ist ein einziger Weg, der über verschiedene Umwege letztendlich zum Ziel führt.
Direkt neben dem Labyrinth sind zwei Duellanten dargestellt, die an den Beinen zusammengebunden sind. Darüber sieht man einen weiteren Krieger, daneben eine Figur, die als Vogel gedeutet wird.

Die Darstellung erinnert an eine Szene auf einem etruskischen Krug, wo ebenfalls Krieger neben einem ähnlichen Labyrinth dargestellt sind. Daneben findet sich die Inschrift „Truia“ – was unter anderem „Troja“ bedeuten könnte. Gemeinhin wird dies als Darstellung der Ludus Troiae (auch Lusus Troiae) gedeutet – des „Trojanischen Spiels“ – das wiederum als Initiations-Wettkampf interpretiert wird.

Die älteste Beschreibung dieser Spiele findet man bei Vergil: In seiner Aeneis sind sie der Abschluss von Wettkämpfen zu Ehren von Anchises, dem Vater des Aeneas – der, aus Troja geflohen, wiederum als Stammvater der Römer galt.
Die Spiele wurden von Julius Caesar um 45 oder 46 v. Chr. „wiederbelebt“ oder eingeführt. So ganz genau weiß man das wohl nicht. Auf jeden Fall wurden diese Spiele zu einem regelmäßig stattfindenden Event im alten Rom.

Ob die Labyrinth-Darstellung im Valcamonica – oder auch die auf der etruskischen Vase – mit diesen Spielen wirklich zusammenhängen, ist nicht geklärt. Die Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Darstellungen ist auf jeden Fall erkennbar, wenn auch die Bedeutung nicht klar ist. Möglicherweise haben wir einen Hinweis auf den etruskischen Einfluss auf die Camunni vor uns.

Der Gott „Cernunnos“

Eine der berühmtesten Darstellungen auf den Felsbildern im Valcamonica ist „der Gott Cernunnos“ auf Fels Nr. 70. Und ehrlich gesagt verblüfft es mich, mit welcher Absolutheit dies immer wieder aufs Neue auch in der Fachliteratur, die ich gelesen habe, und auf Webseiten wiederholt wird. Die differenzierteste Formulierung habe ich – interessanterweise – auf Wikipedia gefunden, wo man liest: „Das bisher älteste bekannte Bildnis, das möglicherweise Cernunnos darstellen könnte, ist eine Felszeichnung aus dem Val Camonica in der Provinz Brescia, welche eine mythische Figur mit erhobenen Armen und Torques zeigt (…)“

Cernunnos gilt als Name eines keltischen Gottes, der mit einem Hirschgeweih dargestellt ist, häufig mit gekreuzten Beinen, als würde er im Schneidersitz sitzen. Es gab mehrere Funde mit ähnlichen Darstellungen. Der Name stammt von einer Säule, die unter Notre-Dame de Paris gefunden wurde und einen Gott mit – allerdings, verglichen mit den anderen Darstellungen, weitaus kürzerem – Geweih zeigt (allerdings ohne gekreuzte Beine, da das Bild nur den Torso enthält). Dabei befindet sich eine Inschrift, die nur fragmentarisch erhalten ist und als „[C]ernunnos“ gelesen wird, wobei der erste Buchstabe unsicher ist.

Der „Cernunnos“ im Valcamonica. Nur schwer zu erkennen. Daneben eine Nachzeichnung zur besseren Erläuterung.

Trotz der Unsicherheiten der Zuschreibung des Namens zu all den anderen Darstellungen, setzte sich der Name durch für vermeintliche Gottheiten (denn im Endeffekt ist es nicht einmal sicher, ob es sich wirklich um Götterdarstellungen handelt) mit Geweih – das Bild des sogenannten „Geweihgottes“. Oder wie es in der englischsprachigen Wikipedia heißt: „It is conventional to apply to the name of „Cernunnos“ to images which fit within this cluster of attributes.“ )

Einen solchen Geweihgott zeigt auch das Felsbild im Valcamonica: Eine große Figur mit Hirschgeweih und Tunika (?), deutlich größer als die daneben stehende Figur mit erhobenen Armen (betend?). Daneben windet sich eine Schlange(?) aus ihm heraus oder aus dem Boden (was heute oft als Barke gedeutet wird).
Man kann hier also – trotz der Abweichungen in der Ikonographie – durchaus den Namen „Cernunnos“ nutzen, um den Typus der Darstellung zu beschreiben – völlig legitim. Wie völlig selbstverständlich man allerdings schreibt, es „handle sich um den keltischen Gott Cernunnos“, wenn so viele Unsicherheiten schon mit dem keltischen Gott Cernunnos allgemein verbunden sind und man hier ja noch nicht einmal weiß, ob es wirklich die gleiche Figur darstellt (wenn auch den gleichen Typus), finde ich doch spannend. In der Fachliteratur erwarte ich doch die Diskussion dieser Themen.

Das beschreibende Schild im Park von Naquane, bemühte sich sehr, die komplexen Zusammenhänge kurz zusammengefasst darzustellen. Dann allerdings machte man es sich sehr einfach – und wahrscheinlich spielt hier auch etwas lokalpatriotischer Stolz mithinein – und der Text des Schildes schließt: Da der camunische „Cernunnos“ auf die zweite Hälfte des sechsten vorchristlichen Jahrhunderts datiert wird, ist er die älteste bekannte Darstellung. Die Kelten hätten also wohl den Kult des Cernunnos von den alpinen Völkern übernommen und den Gott ihrem Pantheon hinzugefügt.

Nun ja, das scheint mir doch eine sehr simplifizierte Erklärung zu sein. Als gäbe es keine anderen Erklärungen, warum ein Tier wie der Hirsch – mit seiner großen Bedeutung sowohl nördlich als auch südlich der Alpen – eine solch religiöse Überhöhung erfahren haben könnte. Aus anderen Kulturen – auch deutlich weiter enfernten, etwa in Zentralasien zu findenden – gehörten Hirschgeweihe z.B. zum Zeremonialschmuck der Schamanen, weshalb einige Forscher Cernunnos-Darstellunge wie die berühmte aus Dänemark (Kessel von Gundestrup) auch als Darstellung eines Schamanen deuten. Das Hirschgeweih im spirituell-zeremoniellen Kontext könnte also auch bei den Kelten nördlich der Alpen durchaus unabhängig vom Valcamonica eine Rolle gespielt haben und auch eine gegenseitige Beeinflussung der Völker muss nicht unbedingt simplifiziert heruntergebrochen werden auf „Die Kelten haben es von hier übernommen.“

Aber all das ist in gewisser Weise historische Pedanterie.
Für Laien ist wahrscheinlich nur von Interesse: Der – vermutliche – Geweihgott, den man gemeinhim „Cernunnos“ nennt und der im Valcamonica dargestellt ist, hat ikonographische Parallelen zu den Kulturen nördlich der Alpen, v.a. den Kelten. Dabei ist das Felsbild im Valcamonica die älteste bekannte Darstellung einer solchen Figur. Eine gegenseitige Beeinflussung der Völker ist natürlich möglich und wahrscheinlich.

Der „rennende Schamane“

Häufig wurde diese Darstellung als „running priest“ bzw. „rennender Schamane“ gedeutet. Heute bezeichnet man sie vorsichtiger als „rennende Person“ – denn soviel immerhin ist sicher: Das Felsbild auf Fels Nr. 35 zeigt eine Person, die sich schnell zu bewegen scheint.

Ab dem fünften vorchristlichen Jahrhundert zeigen die Bilder häufig naturalistische und auch dynamischere Szenen als zuvor. Die Dynamik ist mit sehr einfachen Mitteln erreicht: Die Haltung der Beine und der Arme. Der Kopfschmuck  scheint wie vom Wind nach hinten gebogen. Möglicherweise tanzt die Figur auch?

Die Deutung als Priester oder Schamane geht auf den Kopfschmuck zurück, der aussieht, als wäre er aus Federn. Doch möglicherweise ist es auch ein Helm? Dann könnte es auch ein Krieger sein.
Wie so oft: Es gibt eine Vielzahl von Deutungen für dieses Bild und jeder kann seine Schlüsse ziehen. Ziemlich offensichtlich ist die Figur aber männlichen Geschlechts.

„Die Trauernden“

Auch diesen Titel des Felsbildes auf Felsen Nr. 32 habe ich ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt, denn auch hier handelt es sich nur um eine der vielen möglichen Deutungen. „Menschen, die in einer Reihe stehen, mit zwei die davor liegen“ eignete sich aber nicht unbedingt als knackige Zwischenüberschrift. Doch genau das sehen wir hier.

Gemeinhin geht man davon aus, dass es sich um Frauen handelt, die hier dargestellt sind. Männer sind meist eindeutig durch den Strich zwischen den Beinen deutlich gemacht – der den Penis darstellt. Bei den weiblichen Figuren gibt es zwischen den Beinen ein kleines Loch. So weit so überzeugend.

Sieben Figuren stehen in einer Reihe, mit erhobenen Armen im Still der „Oranti“ (der Betenden), wie man sie häufig auf den Felsen des Valle Camonica findet. Vor ihnen – in einer Rinne, durch die bei Regen das Wasser fließt – liegen zwei weitere Figuren.

Eine Deutung ist – wie erwähnt – dass es sich hier um ein Ritual handelt, das mit Tod zu tun hat. Werden hier Verstorbene beklagt? Eine andere Deutung wäre, dass hier eine Geburt dargestellt wird – oder zumindest ein Ritual, das im Zusammenhang mit Geburten steht. Möglicherweise wird aber auch hier ein Tanz dargestellt. Die Liegenden könnten auch Kranke sei, die geheilt werden sollen?

Wagen

Immerhin hier einmal ein Bild, bei dem ziemlich eindeutig ist, was zu sehen ist: Ein Wagen mit zwei Zugtieren.
Diese Darstellung auf Felsen Nr. 23 zeigt das Gefährt in einer doppelten Perspektive: Der Wagen selbst ist von oben zu sehen, die Räder und die Zugtiere aber von der Seite.
Eine ähnliche Darstellung fand man auf einer „keltischen Sitzbank“ aus Bronze, die man im Fürstengrab von Hochdorf in Baden-Württemberg gefunden hat. (Ein Bild findet ihr hier)

Hütten

Auf zahlreichen Felsen des Valcamonica und des Parks von Naquane findet man Darstellungen von Hütten. Auch hier scheint es relativ wenig Diskussion in der Fachwelt zu geben und die Abbildungen scheinen klar zu sein. Mehrere Hütten zusammen bezeichnet man dann als Darstellung eines Dorfes.

Die Hütten auf dem folgenden Bild stammen von Fels Nr. 35 (auf dem ihr auch die „rennende Person“ findet). Auf diesem Felsen konnte man erkennen, dass einige neuere Szenen in der Eisenzeit über ältere Bilder geritzt wurden, so dass sie sich überlappen.
Hier passierte das wohl auch mit den Hütten, die über einer Jagdszene geschaffen wurden.

Weitere Felsbilder aus dem Archäologischen Park in Naquane

Hier einige weitere Felsbilder aus dem Archäologischen Park von Naquane. Nach all den Informationen, die ihr bisher bekommen habt, überlasse ich diese Bilder eurer eigenen Deutung. Ihr werdet zahlreiche Bildthemen wiedererkennen.





Foppe di Nadro im Riserva Naturale di Ceto-Cimbergo-Paspardo

Beim Rundgang durch den Archäologisches Park von Naquane standen wir plötzlich vor dem Hinterausgang des archäologischen Parks. Schilder wiesen uns darauf hin, dass wir hier dem Weg weiterfolgen können zu den „Foppe di Nadro“ im Naturpark von Ceto-Cimbergo-Paspardo. Dieser Park und der Park von Naquane gehen direkt ineinander über.
Auf über 290 Hektar kann man in Ceto-Cimbergo-Paspardo durch die Wälder wandern und dabei ebenfalls die Felsbilder des Valle Camonica bewundern. Auch hier gibt es einen Audio-Guide, der die Felsen erklärt (auf italienisch, englisch, deutsch und französisch). Wir selbst bewegten uns nur im Gebiet der Foppe di Nadro.
Dieser Teil des Valcamonica ist freizugänglich – leider heißt das auch, dass nicht jeder, der hier vorbeikommt, weiß, wie man sich zu benehmen hat und einige der mit Felsbildern geschmückten Felsen zeigen deutlich, dass auf den Felsen herumgegangen und mit dem Mountainbike gefahren wurde.

Weitere Informationen bekommt ihr auf der sehr umfangreichen und informativen offiziellen Webseite.

Berühmte Felsbilder der Foppe di Nadro

„Die Astronauten“ und Rosa Camuna

Über die Astronauten und die Rosa Camuna habe ich bereits im einleitenden Abschnitt einiges geschrieben. Sie gehören sicher zu den berühmtesten Bilder aus dem Valle Camonica und wir waren überrascht, sie hier zu finden, außerhalb des archäologischen Parks. Es lohnt den Abstecher auf jeden Fall, wenn ihr den Park von Naquane besucht!

Der Name „Astronauten“ wird scherzhaft verwendet (auch wenn es natürlich Menschen gibt, die dies völlig ernst meinen), um die Ähnlichkeit der Figuren mit modernen Raumfahrern zu beschreiben. In der Forschung geht man eher davon aus, dass es sich um Krieger mit Helmen handelt. Die Figuren befinden sich auf Fels Nr. 24.

Das Dorf und camunische Inschrift

Auf demselben Felsen befindet sich auch eine weitere Darstellung von Hütten – bzw. eines Dorfes.
Dazwischen befindet sich eine Inschrift im camunischen Alphabet, das vom etruskischen Alphabet beeinflusst wurde.
(Gleich vorneweg, die meisten der Inschriften haben wir trotz intensiver Suche nicht ausmachen können. Mitunter ist es wirklich schwierig, auf den riesigen Steinen etwas zu finden, wenn man nicht weiß, wo genau man suchen muss. Eine Liste mit verschiedenen Inschriften auf den Foppe di Nadro findet ihr hier).

Der Bogenschütze

Auf Fels Nr. 36 findet man die Darstellung eines Bogenschützen (der Schütze ist vom Standpunkt der Besucher aus auf dem Kopf). Die meisten Personen, die mit Waffen dargestellt sind, haben Lanzen oder Schwerter. Bogenschützen findet man nur selten auf den Felsbildern des Valcamonica.

Tiere

Auf den Felsen Nr. 26-27 findet sich eine Figur (ganz links) mit einer Gruppe von Hunden. Die Figur ist vom Standpunkt neben dem Felsen schwer auszumachen, soll aber in „betender“ Haltung dargestellt sein, weshalb man diesem Felsbild den Spitznamen „Hunde-Verehrung“ gab.

Auf dem selben Felsen, aber vom Standpunkt des Besuchers weitaus besser zu erkennen, ist das Bild eines Pferdes (? – meine eigene Deutung. Das Bild wurde in der von mir konsultierten Literatur nicht erwähnt).

Pentagram

Als ich den fünfzackigen Stern auf den Felsen Nr. 26-27 entdeckte, rollte ich erst mal mit den Augen. Ich war überzeugt, dass irgendjemand in jüngster Vergangenheit dieses Pentagram auf die Steine geritzt hatte.
Allerdings stellte sich dann heraus, dass diese Bilder tatsächlich prähistorisch sind. Das Symbol ist also wahrlich schon ein sehr altes!


Massi di Cemmo in Capo di Ponte

Die beiden großen Felsbrocken in Cemmo (italienisch: Massi di Cemmo) bei Capo di Ponte tragen auf einer Oberfläche von über 8000 m² die ersten Felsritzungen, die 1909 im Valcamonica entdeckt wurden.
Bei Ausgrabungen in den 2000er Jahren, entdeckte man, dass sich rund um die Felsen ein megalithischer Kultbezirk aus der Kupfersteinzeit (etwa 5500 bis 2200 v. Chr.) befand. Darunter fand man Spuren einer Besiedlung, die noch aus der Mittelsteinzeit stammte. Dieser Kultbezirk war mit zahlreichen verzierten Steinstelen geschmückt.

Informationen zu den Öffnungszeiten findet ihr auf der offiziellen Homepage.
Der Eintritt war gratis.

Auch hier gibt es einen Audio-Guide, der die Felsen erklärt (auf italienisch, englisch, deutsch und französisch).

Stele „Cemmo 3“ im MUPRE


Nationales Museum der Urgeschichte des Valle Camonica (MUPRE Museo nazionale di preistoria)

Das Museo Nazionale della Preistoria della Valle Camonica wurde erst im Jahr 2014 eröffnet. Grund waren die zahlreichen Funde in den letzten 30 Jahren im Valcamonica. Unter anderem wurde der megalithische Kultbezirk bei den Massi di Cemmo ausgegraben und zahlreiche mit Felsritzungen verzierte Stelen entdeckt. Auch auf einer Hochebene oberhalb von Malegno, bei Anvoia, Pat und Bagnolo wurden Kultstätten entdeckt. Viele der Funde, die nicht vor Ort belassen werden mussten, fanden ihren Weg in das neugegründete Museum.

Stele „Cemmo 4“

Stele „Bagnolo 1“

Stele „Bagnolo 2“

Was hier gezeigt wird, ist wirklich sehenswert und rundet den Besuch der Freilichtmuseen des Valle Camonica ab.
Die Beschilderung ist, wie ich finde, allerdings für Laien zu wissenschaftlich. Der interessierte Laie – den man ja auch mit diesem Museum wohl vorangig ansprechen möchte – hätte mehr von etwas vereinfachteren Darstellungen, Erläuterungen und Rekonstruktionen, als von den von und für Archäologen gemachten Übersichtskarten und von den Grabungsberichten.
Mit den zur Verfügung stehenden Bildschirmen könnte man die Kultstätten lebendig werden lassen, so dass auch ein archäologischer Laie eine gute Vorstellung davon haben kann. Die Chance hat man hier leider vertan und die Google Rezensionen zeigen, dass auch andere Besucher es so empfunden haben.
Hoffen wir, dass die Konzeption des Museums bald für das Laienpublikum etwas angepasst wird.

Informationen zu Eintrittspreisen und Öffnungszeiten findet ihr auf der offiziellen Homepage.


Seradina-Bedolina in Capo di Ponte

Dieser archäologische Park des Valcamonica wurde erst 2005 eingerichtet. Er liegt unweit der Massi di Cemmo. Leider hatten wir nicht die Möglichkeit, diesen Park zu besuchen. Ihr findet hier unter anderem die sogenannte „Mappa di Bedolina“ – die Karte von Bedolina, eine der ältesten topographischen Karten, die man kennt.
Wie die meisten Felsbilder von Seradina-Bedolina, stammt auch die berühmte Karte aus der Bronze- und Eisenzeit.

Informationen zu Eintrittspreisen und Öffnungszeiten findet ihr auf der offiziellen Homepage.

Auch hier gibt es einen Audio-Guide, der die Felsen erklärt (auf italienisch, englisch, deutsch und französisch).


Sellero

Bei einer Wanderung kamen wir auch bei den Felsbildern von Sellero vorbei. Auch sie liegen recht hoch am Hang mit einem Blick hinab ins Tal.
Der Zugang ist frei und die Felsbilder sind leider in relativ schlechtem Zustand. Die Felsen sind zum Teil mit Moos bewachsen und es ist recht schwierig, die Bilder auszumachen. Wer allerdings bei einer Wanderung hier in der Nähe vorbeikommt, sollte einen Stopp einlegen.

Immer wieder werden hier auch Aperitivi mit Theateraufführungen, Lesungen und nächtlichen Führungen angeboten. Bei letzteren werden durch die künstliche Beleuchtung die Felsbilder erkennbar, die im Tageslicht sonst nur schwer zu sehen sind. Mehr Informationen dazu findet ihr auf der Website des Archeoteatro und der offiziellen Hompage des Parks von Sellero.

Auch von Sellero hat man einen großartigen Blick auf die gegenüberliegenden Berge

Eine berühmte Darstellung ist der sogenannte „Viandante“ – der Wanderer. Außerdem gibt es auch zwei Darstellungen der Rosa Camuna, eine davon in Swastika-Form.

Auch hier gibt es einen Audio-Guide, der die Felsen erklärt (auf italienisch, englisch, deutsch und französisch).


„Parco di Luine“ in Darfo Boario Terme

In Darfo Boario Terme, am Eingang des Valle Camonica und nur wenig nördlich des Lago d’Iseo, befindet sich der archäologische Park von Luine, wo ihr die ältesten Felsbilder des Valcamonica bewundern könnt, die bis zu 13.000 Jahre alt sind.

Diesen Park haben wir bei unserem Besuch im Valcamonica leider nicht besucht.

Mehr Informationen findet ihr auf der offiziellen Webseite.

Auch hier gibt es einen Audio-Guide, der die Felsen erklärt (auf italienisch, englisch, deutsch und französisch).


Abschließender Kommentar zu den Felsbildern im Valcamonica

Die Felsbilder im Valle Camonica sind wirklich sehenswert für jeden, der sich für Urgeschichte und Archäologie interessiert. Ich fand es unglaublich spannend, die verschiedenen Felsritzungen zu sehen, die Darstellungen zu entdecken und über ihre mögliche Deutung nachzugrübeln. Das Ganze ist eingebettet in die wunderschöne Landschaft der italienischen Alpen, so dass hier Kultur- und Naturfreunde gleichermaßen auf ihre Kosten kommen können.

Leider finde ich, dass die Aufbereitung dieser ersten UNESCO-Welterbestätte Italiens ihrer Bedeutung überhaupt nicht gerecht wird. Viele Felsen sind nicht sehr gut gegen Wind, Wetter und auch gegen Vandalismus geschützt. Die Beschilderung ist häufig nur sehr kurz und zum Teil, wie mir schien, auch sehr simplifiziert. Das Beispiel mit dem gehörnten Gott habe ich bereits genannt. Auch wäre es eigentlich nicht sehr schwer, den Besuchern Indikationen zu geben, WO auf den zum Teil sehr großen Felsen sie nach den Ritzungen Ausschau halten sollten.

Würde man das Ganze etwas anders aufbereiten, das Museum nach modernen museumspädagogischen Grundsätzen gestalten, dann hätten viele Laien viel mehr von ihrem Besuch dieser Schätze.
So hat man das Gefühl, dass diese Kostbarkeiten etwas vor sich hindümpeln und nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen – weder von den Touristen, noch von denjenigen, die sie präsentieren sollten.

Der Vollständigkeit halber sei aber noch einmal darauf hingewiesen, dass Vieles hier im Valcamonica überhaupt erst in den letzten 20 Jahren entdeckt und untersucht wurde, dass viele archäologische Parks erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts angelegt und Pläne für die touristische Aufarbeitung ausgearbeitet wurden. Trotz der Tatsache, dass sich hier der älteste archäologische Park Italiens befindet, sind viele Bemühungen doch noch sehr jung und noch bei Weitem nicht abgeschlossen. Mehrmals erzählte man uns auch, dass es derzeit Pläne gäbe, die museumsdidaktische Aufbereitung zu modernisieren und zu verbessern. Der mehrfach erwähnte Audio-Guide ist ein Schritt in diese Richtung!

Seit 2015 läuft zudem das Projekt, die Felsbilder des Valcamonica mit moderner Technik abzubilden und der Öffentlichkeit digital zugänglich zu machen (3D Pitoti).

So und so würde ich jedem, der sich für diese Dinge interessiert, empfehlen, diese Parks zu besuchen. Für die Aufbereitung archäologischer Schätze braucht man Geld und wir alle wissen, dass es das von der Politik nur dann gibt, wenn es sich auch finanziell lohnt, dieses Geld zu investieren.


Radfahren und Wandern im Valcamonica

Cammino di Carlo Magno

Der „Weg Karls des Großen“ startet in Bergamo und führt 225 km lang in offiziell 12 Etappen durch das Valcamonica bis nach Carisolo im Trentino.
Wir sind bei unserem Aufenthalt einer Etappe teilweise gefolgt, nämlich Etappe 7 bis Edolo. Hier verlief der Weg in weiten Teilen parallel zum Fahrradweg Ciclovia dell’Oglio (siehe unten).

Offizielle Webseite des Cammino di Carlo Magno

Via Valeriana

Startend in Brescia, führt dieser insgesamt 190 km lange Weg am östlichen Ufer des Lago d’Iseo entlang (im Gegensatz zum Cammino di Carlo Magno, der am Westufer entlangführt) und verläuft dann meist auf der westlichen Seite des Oglio-Tales (der Cammino di Carlo Magno verläuft meist auf der Ostseite). In insgesamt 8 Etappen geht es bis Edolo – dort teilt sich der Weg: Man kann in jeweils zwei Etappen entweder nach Passo Tonale oder nach Tirano weiterwandern.
Der Weg ist von Süden nach Norden markiert.
Eine Etappe der Via Valeriana (Etappe 5 von Darfo Boario Terme bis Malegno) ist meine Reisebegleitung gewandert.

Offizielle Webseite der Via Valeriana

Ciclovia dell’Oglio

Insgesamt 280 km lang, führt dieser Weg entlang des Flusses Oglio vom Ort Tonale im Norden des Valcamonica bis zur Mündung des Flusses in den Po.
Die ersten beiden Etappen – etwa 135 km, von Tonale bis zum Iseo-See – liegen dabei im Val Camonica.

Wir sind Abschnitte davon (von Malonno bis Edolo) zu Fuß gewandert. Auch wenn weite Teile auf Asphalt verlaufen, eignet sich der Weg auch für eine einfache Wanderung, da er vergleichsweise eben verläuft.

Offizielle Webseite der Ciclovia dell’Oglio

Die Strecke der Ciclovia dell'Oglio, die wir gewandert sind, verläuft parallel zum Cammino di Carlo Magno

Wissenswertes zum Valcamonica, Italien

Valcamonica mit dem Zug

Zwischen Brescia (Gleis 1 ovest) und Edolo verkehrt ein Regionalzug von Trenord. Die Tickets sind über Trenitalia buchbar (auch über die Trenitalia-App!) und ziemlich günstig. Von Brescia bis Edolo dauert die Fahrt zwischen 2 und 2,5 Stunden und kostet 8,60 € pro Person. Der Zug verkehrt etwa stündlich. Einige kleinere Stationen auf der Strecke werden nur im Zwei-Stunden-Takt angefahren.
Der letzte Zug von Brescia startet circa um 19 Uhr. Der letzte von Edolo um etwa 20 Uhr. Ihr solltet die letzten Abfahrtszeiten also auf jeden Fall im Blick behalten.

Mit dem Zug ins Valcamonica

Übernachtung im Valcamonica

Unterkünfte im Valcamonica ansehen und buchen*

Wir übernachteten in Cedegolo im mittleren Valcamonica, etwa 6 km nördlich von Capo di Ponte und 3 km nördlich von Sellero. Der Zug nach Capo di Ponte braucht nur vier Minuten und fährt stündlich.

Wir schliefen in der Foresteria Antica Farmacia*, nur wenige Gehminuten vom Bahnhof. Dort hatten wir uns das Apartment mit Badewanne gegönnt. Dafür muss man seine Mitreisenden allerdings schon sehr lieb haben, denn die Badewanne ist räumlich nicht vom Schlafzimmer abgetrennt. Wem das zu intim ist, der sollte sich einmal das Apartment mit Dusche oder das Doppelzimmer ansehen.
Für die Erkundung des mittleren Valcamonica war die Lage ideal.

Frühstück kann hinzugebucht werden. Da wir über die Weihnachtstage unterwegs waren, war es uns wichtig, uns auch selbst versorgen zu können.

Das Gepäck möge man sich vom Bett wegdenken… *hust*

Sonst gibt es auch noch zahlreiche Bed&Breakfasts oder auch Agriturismi in der Nähe. Man sollte natürlich – wenn man ohne Auto reist – einkalkulieren, dass es im Valcamonica relativ bald ordentlich bergauf geht und man lieber eine Unterkunft im Tal wählen sollte, wenn man mehrere Orte mit dem Zug besuchen will.

Weitere Hotels in und um Capo di Ponte ansehen und buchen*


Literaturhinweise

Für den eigenen Besuch empfehle ich besonders:

  • Marretta, Alberto und Cittadini, Tiziana: Valcamonica rock art parks : guide to visiting routes, Capo di Monte (BS) : Edizioni del Centro Camuno di Studi Preistorici, 2011.

Verwendete Literatur:

  • Bellandi, Giovanna: L’arte rupestre della Valcamonica: conoscere i “pitoti”, auf: DLive Arte, veröffentlicht 07.10.2022. (Link)
  • Busatta, Sandra: L’arte rupestre camuna tra Cervi, Caccia Selvaggia, Aquane e Nani minatori, in: Antrocom. Journal of Anthropology 15-2 (2019), S. 17-63.
  • Liborio, Carlo ; Poggiani Keller, Raffaella ; Ruggiero, Maria Giuseppina: Naquane Rock Art National Park, in: Marretta, Alberto und Cittadini, Tiziana: Valcamonica rock art parks : guide to visiting routes, Capo di Monte (BS) : Edizioni del Centro Camuno di Studi Preistorici, 2011, S. 118-129.
  • Marretta, Alberto und Ruggiero, Maria Giuseppina: L’arte rupestre camuna, in: Crippa, Maria Antonietta [et al] (Hrsg.): Milano e Lombardia dall’alto, Milano : Jaca Book, Prima edizione italiana, 2015, S. 23-31.
  • Marretta, Alberto: Valcamonica Rock Art: an extraoridnary archeological source, in: Marretta, Alberto und Cittadini, Tiziana: Valcamonica rock art parks : guide to visiting routes, Capo di Monte (BS) : Edizioni del Centro Camuno di Studi Preistorici, 2011, S. 8-29.
  • Marretta, Alberto: The Rock Art Natural Reserve of Ceto, Cimbergo, Paspardo, in: Marretta, Alberto und Cittadini, Tiziana: Valcamonica rock art parks : guide to visiting routes, Capo di Monte (BS) : Edizioni del Centro Camuno di Studi Preistorici, 2011, S. 84-97.
  • Poggiani Keller, Raffaella ; Ruggiero, Maria Giuseppina: Massi di Cemmo National Park, in: Marretta, Alberto und Cittadini, Tiziana: Valcamonica rock art parks : guide to visiting routes, Capo di Monte (BS) : Edizioni del Centro Camuno di Studi Preistorici, 2011, S. 132-137.
  • Archäologen scannen prähistorische Steinbilder im Valcamonica, auf: Archäologie Online, veröffentlicht am 13.02.2015. (Link)

Für die Hinweise zu Cernunnos auch:

  • Hutton, Ronald: Pagan Britain, New Haven and New York : Yale University Press, 2022.

Webseiten:

Fels Nr. 35 im Park von Naquane


Offenlegung:

Die Reise ins Valcamonica wurde selbständig finanziert und organisiert.
Ich verwende in diesem Beitrag sogenannte Affiliatelinks (Werbelinks), die mit einem * gekennzeichnet sind. Wenn ihr über einen dieser Links eine Buchung tätigt, erhalte ich dafür eine kleine Provision.


Weiterlesen über Archäologie und Antike

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7 Gedanken zu “Valcamonica – Felsbilder in der Lombardei: Italiens erste UNESCO Welterbestätte [+ Karte]

  1. Liebe Ilona,
    wir sind ja ganz große Fans von schwach besuchten UNESCO-Welterbestätten und diese Kategorie scheinen die Felsbilder von Valcamonica direkt zu fallen. So ein spannender Ort in einer umwerfenden Landschaft. Cool. Bitte mehr von diesen kaum besuchten Kleinoden.
    Herzliche Grüße
    Gabi und Michael

    • Ich weiß nicht, wie es im Sommer ist. Ich hab leider nur Statistiken für 2013-2015 gefunden (2015 hatte der Park von Naquane 44.000 Besucher). Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass es dort vor Besuchern überquillt. Auch deshalb, weil wirklich niemand etwas damit anfangen konnte, dem ich davon erzählt habe. Von daher denke ich, dass das Valcamonica ganz klar in die von euch genannte Kategorie „schwachbesuchte Welterbestätten“ fällt.
      Lohnt auf jeden Fall einen Besuch – auch weil es aus Deutschland eigentlich gar nicht weit ist. (Ok,von Berlin ists ein bisschen weiter… 😉 )

  2. Liebe Ilona,
    wolltest Du Dich nicht kürzer fassen? 🙂
    Bitte nicht 🙂 denn gerade deine Ausführlichkeit um einfach alles nachreisen zu können, kombiniert mit deiner genauen Recherche machen es immer so spannend auf Deiner Seite vorbei Zu schauen.

    So weit ist es aus München ja nicht und ich könnte es mir als coole Wandertour vorstellen. Zumal der Begriff „Overtourism“ hier ja eher keine Rolle spielt.
    Viele Grüße, Katja

    • Hahaha, ja, das war der Artikel, bei dem ich mich eigentlich kürzer fassen wollte. Da das Thema so weit von meinem fachlichen Schwerpunkt Frühe Neuzeit weg ist, dachte ich, da könnte ich eh nicht so viel drüber schreiben. Aber je mehr ich drüber las, desto interessanter wurde es 😀
      Freu mich, wenn dir meine Artikel trotz ihrer Ausführlichkeit gefallen.

      Und ja, von München ist das überhaupt nicht weit. Wenn man am Gardasee ist, ist man auch kurz danach schon im Valcamonica. Sehr schöne Ecke dort, auch zum Wandern. Kann man empfehlen.

  3. Liebe Ilona,

    tatsächlich war mir Valcamonica ein Begriff. Ich bin ein großer Geschichte- Fan und habe entsprechende Zeitschriften im Abo. Daher sagte mir der Ort und auch die Felsmalereien was. Allerdings war ich noch nie dort und finde es schade, dass so ein Kulturerbe, so ein tolles Zeugnis menschliches Schaffens, nicht so gewürdigt und geschützt wird, wie es sein müsste. Ich hoffe, dass da noch ein Umdenken stattfindet.

    Danke für diesen ausführlichen Reisebericht.

    Liebe Grüße
    Mo

    • Ha, da bist du wirklich eine der ganz wenigen, der das Valcamonica etwas sagte. Die meisten hatten davon tatsächlich noch nie gehört. Schade eigentlich, es ist wirklich ein unglaublicher Schatz, den es dort zu sehen gibt.
      Falls du mal in die Ecke kommst, solltest du dir das nicht entgehen lassen.

      Ich bin auch gespannt, ob sich dort etwas tut. Es ist ja schon Bewegung in die Sache gekommen.

  4. Wow, was für ein umfangreicher und absolut interessanter Artikel zur Thematik! Ich hatte dir ja schon auf Facebook u/o Instagram geschrieben, dass ich Valcamonica ebenfalls nicht kannte, obwohl ich mal Urlaub am überlaufenen Gardasee gemacht hatte! Aber sollte es mich irgendwann nochmal dorthin ziehen, würde ich mir die Felsbilder wirklich gern anschauen! Du musst nämlich wissen, dass ich unheimlich gern Archäologin geworden wäre! Solche historischen (Ausgrabungs-)Stätten ziehen mich einfach an!

    Liebe Grüße und danke für die schönen Schiebebilder!
    Jana

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